#CharmingPrinceForElsa – zurück in eine Zeit, die nie existierte

#GiveElsaAGirlfriend, #CharmingPrinceForElsa und #KeepElsaSingle – seit Disney 2015 bekannt gab, dass für den Animationsfilm Frozen (dt.Titel: Die Eiskönigin – Völlig Unverfroren) eine Fortsetzung geplant ist, steht Twitter Kopf. Alle drei Hashtags ranken sich um die Sexualität der Eiskönigin Elsa und spitzen dabei eine Kontroverse zu, die bereits beim ersten Film existierte.

Von Anika Schäfer

ElsaPrideFinal
https://twitter.com/formal_dublin

Schwulenpropaganda und Indoktrination unschuldiger Kinder oder ein Film, der Werte wie Selbstbewusstsein und Toleranz vermitteln will: besonders im Zusammenhang mit Roland Barthes‘ Text „Der Tod des Autors“ wird deutlich, dass jeder Leser aufgrund anderer Ansichten und Wissensgehalte eine eigene Interpretation zu einem Text entwickelt (Vgl. Barthes 1967). So lässt sich auch nicht abstreiten, dass sich aus Frozen und besonders aus dem Oscar-Prämierten Song „Let It Go“ eine Analogie zum Coming-Out herauslesen lässt .

Auch deswegen ist die Eiskönigin Elsa in der LGBT – Community eine Kultfigur geworden. Für den zweiten Teil fordern viele Fans und LGBT-Anhänger, dass Elsa in der für 2018 angekündigten Fortsetzung eine Freundin bekommen soll und machen auf Twitter ihre Forderung mit dem Hashtag #GiveElsaAGirlfriend publik.

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https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd

Was die eine Gruppe bestärkt wird jedoch von einer anderen angegriffen. Schon der erste Teil wurde von konservativen Stimmen wie dem Pfarrer Kevin Swanson beschuldigt, Kinder zur Homosexualität erziehen zu wollen . Nun rufen Konservative mir einer Online-Petition dazu auf, sich gegen den Trend aufzulehnen, der „aus Elsa eine Lesbe“ machen soll. Unter dem Twitter Hashtag #CharmingPrinceForElsa haben nun über 300.000 Menschen unterschrieben, dass Elsa stattdessen einen Prinzen bekommen soll – ganz im Zeichen der Unschuld und der „natürlichen“ Familie.

CitizenGoPetition
http://www.citizengo.org/en/fm/34400-disney-no-princess-queen-elsa-charmingprinceforelsa

“Girls across the world watch Disney movies to grow up dreaming of having a life much like their favorite Disney princess or dreaming of the day they marry their own Prince Charming. It is important that Disney not use the influence of a film to feed our children with a political message.”

Dieser Appell an Disney macht deutlich, was viele Gegner der LGBT-Community als Argument verwenden um die Identität von Schwulen und Lesben anzugreifen: Menschen und besonders Kinder seien inhärent heterosexuell – jedes Mädchen träume von einem Prince Charming. Die Heterosexualität wird zu einem Original erhoben, zur Grundform aller Sexualitäten. Abweichende Sexualitäten werden negativ bewertet. In der Petition wird immer wieder betont, dass die Gegenbewegung zu #GiveElsaAGirlfriend nur zum Schutz unschuldiger Kinder geschehe. „I am writing to you out of concern for children across the world”, beginnt der Brief an Disney. “Please use your film to send a positive message to children”, wird die Bitte um einen Prinzen formuliert: “The alternative idea is frightening.”

Vernachlässigt wird dabei der Gedanke, dass eben nicht alle Kinder von Beginn an heterosexuell sind. Vielmehr hat jedes Kind von vorne herein eine bloße Möglichkeit heterosexuell zu sein (Vgl. Butler 1991). Denn so ist es auch mit anderen Aspekten der Identität: ein allgemein gültiges Original existiert nicht. Identität ist nicht als der naturgegebene Kern unseres Selbst zu sehen, den es schon immer gab und den wir mit unseren Taten und unserem Verhalten nachmodellieren. Eher verläuft es umgekehrt: Identität entsteht als Folge von Akten, mit denen wir uns definieren – durch performative Konstruktion (Vgl. Butler 1991). Performativ ist ein Akt, der uns bezeichnet und dadurch unsere Identität bildet. Beispielsweise ist man als heterosexuelle Frau nicht zuerst heterosexuell und begehrt aufgrund dessen Männer. Eher definiert erst die Tatsache, als Frau Männer zu begehren, diese Frau als heterosexuell. Sexualität ist wie andere Identitätsaspekte nicht von vorne herein festgelegt. Sie existiert zunächst nur als Möglichkeit etwas oder jemand zu sein, die erst durch performative Akte realisiert wird (Vgl. Butler 1991). Daher besteht genauso auch die Möglichkeit beispielsweise als Frau nur Frauen zu begehren und dadurch lesbisch zu sein. Nicht als Ursache, sondern als Effekt einer performativen Konstruktion entsteht Identität (Vgl. Butler 1991). Für jedes Kind ist die sexuelle Orientierung auch nur die Möglichkeit jemanden zu begehren und dadurch jemand zu sein. Ob ein Mädchen von einem Prince Charming träumt oder von einer Prinzessin ist von Beginn an offen.

Woher kommt also der Gedanke, dass Heterosexualität die Grundform sei? Auch die politische Wertung der Petition macht dieses Konzept deutlich. Elsa eine Freundin zu geben wird als politische Nachricht angesehen, die Kindern aufgedrückt wird; ein Prince Charming stattdessen als politisch neutral. Außer Acht gelassen wird dabei, dass auch ein stillschweigendes Beibehalten des Status Quo eine Wirkung hat: dessen Stärkung. Identität entsteht als ein Effekt bezeichnender Akte, und diese werden ständig reproduziert (Vgl. Butler 1991). Dabei entsteht der Eindruck, dass es nicht diese Akte sind, die wiederholt werden, sondern die Identität selbst (Vgl. Butler 1991). Nichts wird in der Gesellschaft so oft wieder aufgegriffen wie Geschlechterrollen und Vorgaben der sexuellen Orientierung. Heterosexualität wird zu einem Ideal erhoben, das scheinbar schon allem Handeln vorausgeht, in Wahrheit jedoch erst durch die Wiederholung produziert wird und zuvor gar nicht existierte (Vgl. Butler 1991). Sie wird immer wieder neu produziert und verfestigt: beispielsweise zeigen zahlreiche Filme heterosexuelle Beziehungen und Sexismus in der Werbung sagt nicht nur etwas über die Stellung der einzelnen Geschlechter aus, sondern auch darüber, wer welches Geschlecht zu begehren hat.

Zusätzlich zu #CharmingPrinceForElsa und #GiveElsaAGirlfriend verfolgen weitere Stimmen unter dem Hashtag #KeepElsaSingle andere Motive. Viele hätten gerne mehr Repräsentation von Singlefrauen, die auch ohne einen Partner oder eine Partnerin stark sein können. Andere hätten gerne eine asexuelle Eiskönigin, oder sehen ihr Single-Bleiben als Weg, sich einer Stellungnahme zu entziehen und alle glücklich zu halten. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob das einfache Auslassen dieser Thematik nicht doch eher ein Statement für den Status Quo darstellt. Einige Twitter-User scheinen eine Single-Elsa mit einer heterosexuellen Elsa auf die gleiche Stufe zu stellen.

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Es ist fast unmöglich dem Konzept der Heterosexualität in Zusammenhang mit Begriffen wie Originalität, Normalität und Natürlichkeit zu entgehen. Twitter meldet sich zu Wort und macht deutlich, dass es heutzutage in dieser Hinsicht nicht mehr ausreicht, einfach gar nichts zu sagen. Nur explizite Repräsentationen queerer Sexualitäten stellen einen Bruch in der ständigen Verfestigung der Heterosexualität dar. Sie öffnen Raum für neue Ansichtsweisen und Toleranz und bilden einen Trittstein für die Gleichberechtigung der LGBT-Community. Viele Kommentare haben eins gemeinsam: die Forderung nach mehr Vielfalt in der medialen Repräsentation – sei es die starke Singlefrau, die Asexuelle oder die Lesbe.

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https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd

Es ist ein Fortschritt, dass viele Twitter-User eine lesbische Disney Prinzessin als völlig angemessen empfinden. Jedoch ist es nicht ganz richtig zu sagen, dass Idealvorstellungen sich nur mit der Zeit geändert haben wie ein Klamottenstil oder ein Frisurentrend. Vielmehr war das Ideal schon immer bloß eine reine Illusion. Die Zeiten in denen Heterosexualität die Grundform war sind nicht nur lange vorbei – es hat sie eigentlich noch nie gegeben.

 

Quellen:

Barthes, Roland (2000) [1967] : Der Tod des Autors, in: Jannidis et al. [Hrsg.]: Texte zur Theorie der Autorschaft. Reclam: Stuttgart, S. 185-193.

Butler, Judith (2003) [1991]: Imitation und die Aufsässigkeit der Geschlechtsidentität, in: Kraß, Andreas [Hrsg.]: Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Suhrkamp: Frankfurt am Main, S. 144-168.

http://www.citizengo.org/en/fm/34400-disney-no-princess-queen-elsa-charmingprinceforelsa (25.06.2016)

httphttp://www.rightwingwatch.org/content/swanson-disneys-frozen-satanic-push-turn-kids-gay (12.07.2016)s://twitter.com/search?q=%23charmingprinceforelsa&src=tyah  (25.06.2016)

https://www.theguardian.com/music/musicblog/2014/apr/10/frozen-let-it-go-disney-hit-adolescent-lgbt-anthem (12.07.2016)https://twitter.com/hashtag/keepelsasingle?src=hash (25.06.2016)

https://twitter.com/formal_dublin  (11.07.2016)

https://twitter.com/search?q=%23charmingprinceforelsa&src=tyah  (10.07.2016)

https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd (13.07.2016 und 17.07.2016)

https://twitter.com/hashtag/keepelsasingle?src=hash (25.06.2016)

 

 

 

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