Wie die Pharmaindustrie die Pille bewirbt
Sie macht schöne Haut, große Brüste und lindert Schmerzen: Die Pille gilt seit 58 Jahren als sicheres Verhütungsmittel. Vermarktet wird das Medikament aber als Alleskönner gegen die weiblichen Alltagsprobleme. Trotz Werbeverbot durch das Heilmittelwerbegesetz setzt die Pharmaindustrie auf eine Marketingstrategie und erreicht damit junge Mädchen und Frauen. Ein Kommentar zum Lifestyleprodukt.
„von Lenja Hülsmann“
Sie sind klein und rund. Mal sind sie strahlend weiß, mal leuchtend gelb oder babyrosa. Wenn man gefragt wird: „Nimmst du die Pille?“, dann weiß jeder, dass nicht etwa eine Aspirin-Tablette gemeint ist. Denn die Antibabypille ist auch noch 58 Jahre nach der Erstzulassung das Verhütungsmittel Nummer eins, vor allem unter jungen Frauen. Pro Familia schätzt, dass 70 Prozent der Frauen zwischen 20 und 29 Jahren in Deutschland die Pille nehmen. Ein großes Oral-Kollektiv, das die Pharmaindustrie versucht, für sich zu gewinnen.
Die Antibabypille verhindert eine Schwangerschaft und das ist auch erstmal gut so. Der Schutz ist relativ zuverlässig, denn der Pearl-Index liegt laut Pro Familia bei 0,1 bis 0,9. Das bedeutet, dass eine bis neun von 1000 Frauen während eines Jahres unter Einnahme der Pille schwanger werden. Nicht ohne Grund war die Pille bei der Einführung in Deutschland 1961 der Inbegriff der Selbstbestimmung der Frau, vor allem auf der sexuellen und karrieretechnischen Ebene. Heute gibt es die Frauenquote, den Vaterschaftsurlaub und zumindest auf dem Papier auch die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Und trotzdem ist und bleibt das begehrteste Verhütungsmittel die Pille – oft unhinterfragt. Oft mit gutem Zureden der Frauenärztin, geleitet vom Marketing der Pharmaindustrie.
Wie Gummibärchen
Dabei hat die Pille eine Menge Nebenwirkungen, die nicht unerwähnt bleiben dürfen: Kopfschmerzen, Übelkeit und Gewichtszunahme. Das sind Begleiterscheinungen, die jede Frau selbst beobachten kann. Die Pille kann nachweislich aber auch etwas ganz anderes hervorrufen: Unwohlsein. Weniger Energie. Lustlosigkeit. Das zeigte eine Studie unter 340 Probandinnen zwischen 18 und 35 Jahren, die im April 2017 vom Karolinska-Instituts in Stockholm veröffentlicht wurde.
Beim ersten Frauenarzt besucht kommt die Aufklärung aber oft zu kurz. Sicherlich gibt es auch Ärzte, die ausgiebig informieren. Aber es gibt auch die anderen, bei denen die Beratung abläuft wie ein Verkaufsgespräch für Gummibärchen: Lieber die roten oder die gelben? Die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen bleiben dabei schon mal auf der Strecke. Untersuchung? Nachfragen zu einem erhöhten Thrombose-Risiko? Fehlanzeige. Dabei könnte ein mögliches Risiko von der Pille noch verstärkt werden.
Gerade Pillen der dritten und vierten Generation werden immer häufiger verschrieben. Dabei führen diese nachgewiesen häufiger zu einem Blutgerinnsel. Der Grund dafür sollen die neuen Gestagenen sein, die in den Pillen enthalten sind. Diese weiblichen Hormone sollen vor allem eins sein: gut für Haut und Haare. Laut des Pillenreports der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2015 wird vor allem Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren zu der Antibabypille der neueren Generationen geraten.
Anstatt offensichtlich auf die Nebenwirkungen der Pille hinzuweisen, wird die Pille also als Alleskönner gegen pubertäre Begleiterscheinungen vermarktet: als Wundermittel gegen unreine Haut. Oder gegen starke Regelschmerzen. Ach ja. Und die Brüste sollen davon auch wachsen.
Das Liefestyleprodukt der Pharmaindustrie
So ähnlich sieht auch die Marketing-Strategie des Pharmakonzerns Jenapharm aus, der zur Bayer Pharma AG gehört. Öffnet man die Webseite des Unternehmens und klickt die Kachel „Die Pille“ an, erwartet einen das Ebenbild der Jugend:
Lange, blonde Haare, strahlendes Lächeln, sonnengeküsste Haut, rosa Haarband. Das Teenager-Mädchen sieht überglücklich aus. Ist ja auch logisch, sie nimmt die Antibabypille. Marketingtechnisch ist die Webseite des Pharmaunternehmens Jenapharm brillant. Alles ist in rosa und pink gehalten. Die FAQ am rechten Rand werfen Fragen auf, die die Pille ins schlechte Licht rücken, um sie direkt im Anschluss wieder zu entkräften: „Wird man von der Pille dick?“ und „Kann es an der Pille liegen, wenn die Lust auf Sex (Lipido) nachlässt?“ steht da in pinken Lettern. „Eigentlich nicht“, lautet die Kurzfassung der Antwort auf die erste Frage.
Den Höhepunkt des Marketings finden wir aber wohl in der Antwort auf die zweite Frage:
„Bei manchen Frauen wird die Lust auf Sex durch die Pille eher gesteigert. Denn durch die hohe Verhütungssicherheit ist die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft genommen. Oftmals sind Spannungen und Konflikte in der Partnerschaft der Grund dafür, dass die Libido nachlässt. Da jede Frau sehr individuell auf die Pille reagiert, ist es in einzelnen Fällen auch möglich, dass die Zusammensetzung der Pille die Lust beeinträchtigt. Wenden Sie sich dann vertrauensvoll an Ihren Frauenarzt/Ihre Frauenärztin.“
Negative Begleiterscheinungen der Pille, die sogar einen Einfluss auf das Sexleben und Lustempfinden haben können, werden auf der Webseite als fast nicht existent abgetan. Stattdessen setzt man auf die Strategie, die geminderte Lipido der Frau in Verbindung mit Streitigkeiten in einer Beziehung zu setzen. Schlauer Schachzug.
Die Werbung für die Pille auf der Jenapharm-Seite reicht aber noch weiter. In einer Informationsbroschüre zum Downloaden über Akne wird u.a. die Antibabypille als wirkungsvolles Medikament gegen Hautunreinheiten angepriesen.
Rechtliche Grauzone
Das ist Werbung. Keine Frage. Dabei ist Werbung für rezeptpflichtige Medikamente laut dem Heilmittelwerbegesetz in Deutschland verboten. Und auch vor den sozialen Netzwerken macht Jenapharm keinen Halt.
Auch auf Facebook und Instagram zeigt sich das Pharmaunternehmen präsent. Getarnt als Facebookseite „LiebeSLeben“ mit über 66.000 Abonnenten und als Instagram-Account „meinliebesleben“ mit 1880 Abonnenten lockt Jenapharm gezielt junge Nutzerinnen auf seine Webseite. Klickt man bei Facebook beispielsweise auf einen verlinkten Artikel zu verschiedenen Verhütungsmitteln, landet der Nutzer auf der Webseite mit einer Auswahl an Artikeln, nicht aber bei einem einzelnen Beitrag. Clickbaiting at its best.
Die Marketingstrategie auf der eigenen Webseite und in den sozialen Medien zielt zwar auf keine bestimmte Antibabypille ab, denn das würde den rechtlichen Graubereich zwischen Werbung und Information deutlich verlassen. Wer sich aber anschaut, wie viele Pillensorten Jenapharm vertreibt, dem wird schnell klar, dass der Konzern eine gezielte Werbung gar nicht nötig hat. Es bewirbt ein Lifestyleprodukt. Ob es am Ende des Tages das weiße, rosa oder gelbe runde Pillchen wird, mag dem Konzern redlich egal sein. Hauptsache, sie schlucken weiter.
Quellen:
- Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz unter: http://www.gesetze-im-internet.de/heilmwerbg/HWG.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- stern.de https://www.stern.de/gesundheit/marketing-fuer-antibabypille-qlaira-wie-frauen-mit–natuerlichkeit–gelockt-werden-3445944.html (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- Jenapharm Archivmaterial unter: https://web.archive.org/web/20100730023615/http://www.jenapharm.de/unternehmen/presse-news/pm-2010-04-01.html (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- Jenapharm Facebookseite unter: https://www.facebook.com/LiebeSLeben.jp/ (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
- Jenapharm Infobroschüre Akne unter: https://www.jenapharm.de/service/akne.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- Jenapharm Instagram-Account unter: https://www.instagram.com/meinliebesleben/ (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
- Jenapharm Webseite unter: https://www.jenapharm.de/frauengesundheit/pille (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- Pro Familia Pearl Index unter: https://www.profamilia.de/erwachsene/verhuetung/pearl-index.html (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
- Techniker Krankenkasse unter: https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/771128/Datei/67490/Pillenreport_2015.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
- Zethraeus, Niklas et al. unter: https://www.fertstert.org/article/S0015-0282(17)30247-9/pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
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