Einfach schlucken

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Wie die Pharmaindustrie die Pille bewirbt

Sie macht schöne Haut, große Brüste und lindert Schmerzen: Die Pille gilt seit 58 Jahren als sicheres Verhütungsmittel. Vermarktet wird das Medikament aber als Alleskönner gegen die weiblichen Alltagsprobleme. Trotz Werbeverbot durch das Heilmittelwerbegesetz setzt die Pharmaindustrie auf eine Marketingstrategie und erreicht damit junge Mädchen und Frauen. Ein Kommentar zum Lifestyleprodukt.

„von Lenja Hülsmann“

Sie sind klein und rund. Mal sind sie strahlend weiß, mal leuchtend gelb oder babyrosa. Wenn man gefragt wird: „Nimmst du die Pille?“, dann weiß jeder, dass nicht etwa eine Aspirin-Tablette gemeint ist. Denn die Antibabypille ist auch noch 58 Jahre nach der Erstzulassung das Verhütungsmittel Nummer eins, vor allem unter jungen Frauen. Pro Familia schätzt, dass 70 Prozent der Frauen zwischen 20 und 29 Jahren in Deutschland die Pille nehmen. Ein großes Oral-Kollektiv, das die Pharmaindustrie versucht, für sich zu gewinnen.

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Die Antibabypille verhindert eine Schwangerschaft und das ist auch erstmal gut so. Der Schutz ist relativ zuverlässig, denn der Pearl-Index liegt laut Pro Familia bei 0,1 bis 0,9. Das bedeutet, dass eine bis neun von 1000 Frauen während eines Jahres unter Einnahme der Pille schwanger werden. Nicht ohne Grund war die Pille bei der Einführung in Deutschland 1961 der Inbegriff der Selbstbestimmung der Frau, vor allem auf der sexuellen und karrieretechnischen Ebene. Heute gibt es die Frauenquote, den Vaterschaftsurlaub und zumindest auf dem Papier auch die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Und trotzdem ist und bleibt das begehrteste Verhütungsmittel die Pille – oft unhinterfragt. Oft mit gutem Zureden der Frauenärztin, geleitet vom Marketing der Pharmaindustrie.

Wie Gummibärchen

Dabei hat die Pille eine Menge Nebenwirkungen, die nicht unerwähnt bleiben dürfen: Kopfschmerzen, Übelkeit und Gewichtszunahme. Das sind Begleiterscheinungen, die jede Frau selbst beobachten kann. Die Pille kann nachweislich aber auch etwas ganz anderes hervorrufen: Unwohlsein. Weniger Energie. Lustlosigkeit. Das zeigte eine Studie unter 340 Probandinnen zwischen 18 und 35 Jahren, die im April 2017 vom Karolinska-Instituts in Stockholm veröffentlicht wurde.

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Kopfschmerzen, Lustlosigkeit, Unwohlsein. Das können Nebenwirkungen der Pille sein.

Beim ersten Frauenarzt besucht kommt die Aufklärung aber oft zu kurz. Sicherlich gibt es auch Ärzte, die ausgiebig informieren. Aber es gibt auch die anderen, bei denen die Beratung abläuft wie ein Verkaufsgespräch für Gummibärchen: Lieber die roten oder die gelben? Die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen bleiben dabei schon mal auf der Strecke. Untersuchung? Nachfragen zu einem erhöhten Thrombose-Risiko? Fehlanzeige. Dabei könnte ein mögliches Risiko von der Pille noch verstärkt werden.

Gerade Pillen der dritten und vierten Generation werden immer häufiger verschrieben. Dabei führen diese nachgewiesen häufiger zu einem Blutgerinnsel. Der Grund dafür sollen die neuen Gestagenen sein, die in den Pillen enthalten sind. Diese weiblichen Hormone sollen vor allem eins sein: gut für Haut und Haare. Laut des Pillenreports der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2015 wird vor allem Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren zu der Antibabypille der neueren Generationen geraten.

Anstatt offensichtlich auf die Nebenwirkungen der Pille hinzuweisen, wird die Pille also als Alleskönner gegen pubertäre Begleiterscheinungen vermarktet: als Wundermittel gegen unreine Haut. Oder gegen starke Regelschmerzen. Ach ja. Und die Brüste sollen davon auch wachsen.

Das Liefestyleprodukt der Pharmaindustrie

So ähnlich sieht auch die Marketing-Strategie des Pharmakonzerns Jenapharm aus, der zur Bayer Pharma AG gehört. Öffnet man die Webseite des Unternehmens und klickt die Kachel „Die Pille“ an, erwartet einen das Ebenbild der Jugend:

Webseite Jenapharm

Lange, blonde Haare, strahlendes Lächeln, sonnengeküsste Haut, rosa Haarband. Das Teenager-Mädchen sieht überglücklich aus. Ist ja auch logisch, sie nimmt die Antibabypille. Marketingtechnisch ist die Webseite des Pharmaunternehmens Jenapharm brillant. Alles ist in rosa und pink gehalten. Die FAQ am rechten Rand werfen Fragen auf, die die Pille ins schlechte Licht rücken, um sie direkt im Anschluss wieder zu entkräften: „Wird man von der Pille dick?“ und „Kann es an der Pille liegen, wenn die Lust auf Sex (Lipido) nachlässt?“ steht da in pinken Lettern. „Eigentlich nicht“, lautet die Kurzfassung der Antwort auf die erste Frage.

Den Höhepunkt des Marketings finden wir aber wohl in der Antwort auf die zweite Frage:

„Bei manchen Frauen wird die Lust auf Sex durch die Pille eher gesteigert. Denn durch die hohe Verhütungssicherheit ist die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft genommen. Oftmals sind Spannungen und Konflikte in der Partnerschaft der Grund dafür, dass die Libido nachlässt. Da jede Frau sehr individuell auf die Pille reagiert, ist es in einzelnen Fällen auch möglich, dass die Zusammensetzung der Pille die Lust beeinträchtigt. Wenden Sie sich dann vertrauensvoll an Ihren Frauenarzt/Ihre Frauenärztin.“

Negative Begleiterscheinungen der Pille, die sogar einen Einfluss auf das Sexleben und Lustempfinden haben können, werden auf der Webseite als fast nicht existent abgetan. Stattdessen setzt man auf die Strategie, die geminderte Lipido der Frau in Verbindung mit Streitigkeiten in einer Beziehung zu setzen. Schlauer Schachzug.

Die Werbung für die Pille auf der Jenapharm-Seite reicht aber noch weiter. In einer Informationsbroschüre zum Downloaden über Akne wird u.a. die Antibabypille als wirkungsvolles Medikament gegen Hautunreinheiten angepriesen.

Rechtliche Grauzone

Das ist Werbung. Keine Frage. Dabei ist Werbung für rezeptpflichtige Medikamente laut dem Heilmittelwerbegesetz in Deutschland verboten. Und auch vor den sozialen Netzwerken macht Jenapharm keinen Halt.

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Auch auf Facebook und Instagram zeigt sich das Pharmaunternehmen präsent. Getarnt als Facebookseite „LiebeSLeben“ mit über 66.000 Abonnenten und als Instagram-Account „meinliebesleben“ mit 1880 Abonnenten lockt Jenapharm gezielt junge Nutzerinnen auf seine Webseite. Klickt man bei Facebook beispielsweise auf einen verlinkten Artikel zu verschiedenen Verhütungsmitteln, landet der Nutzer auf der Webseite mit einer Auswahl an Artikeln, nicht aber bei einem einzelnen Beitrag. Clickbaiting at its best.

Die Marketingstrategie auf der eigenen Webseite und in den sozialen Medien zielt zwar auf keine bestimmte Antibabypille ab, denn das würde den rechtlichen Graubereich zwischen Werbung und Information deutlich verlassen. Wer sich aber anschaut, wie viele Pillensorten Jenapharm vertreibt, dem wird schnell klar, dass der Konzern eine gezielte Werbung gar nicht nötig hat. Es bewirbt ein Lifestyleprodukt. Ob es am Ende des Tages das weiße, rosa oder gelbe runde Pillchen wird, mag dem Konzern redlich egal sein. Hauptsache, sie schlucken weiter.


Quellen:

  1. Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz unter: http://www.gesetze-im-internet.de/heilmwerbg/HWG.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  2. stern.de https://www.stern.de/gesundheit/marketing-fuer-antibabypille-qlaira-wie-frauen-mit–natuerlichkeit–gelockt-werden-3445944.html (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  3. Jenapharm Archivmaterial unter: https://web.archive.org/web/20100730023615/http://www.jenapharm.de/unternehmen/presse-news/pm-2010-04-01.html (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  4. Jenapharm Facebookseite unter: https://www.facebook.com/LiebeSLeben.jp/ (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
  5. Jenapharm Infobroschüre Akne unter: https://www.jenapharm.de/service/akne.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  6. Jenapharm Instagram-Account unter: https://www.instagram.com/meinliebesleben/ (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
  7. Jenapharm Webseite unter: https://www.jenapharm.de/frauengesundheit/pille (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  8. Pro Familia Pearl Index unter: https://www.profamilia.de/erwachsene/verhuetung/pearl-index.html (zuletzt abgerufen am 15.06.2018)
  9. Techniker Krankenkasse unter: https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/771128/Datei/67490/Pillenreport_2015.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)
  10. Zethraeus, Niklas et al. unter: https://www.fertstert.org/article/S0015-0282(17)30247-9/pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2018)

Bilder

  1. https://unsplash.com/photos/fvUe2ixH3qY
  2. https://unsplash.com/photos/lSYvRWrNR5U
  3. https://unsplash.com/photos/5_n3X6EfRNc
  4. https://www.jenapharm.de/frauengesundheit/pille
  5. https://www.facebook.com/LiebeSLeben.jp/

#MeToo oder doch eher #MimimiToo?

Die #MeToo-Debatte sorgt aktuell weltweit für Diskussionen um Themen wie Sexismus, Feminismus und Machtmissbrauch. Immer mehr Frauen beschuldigen Männer wegen sexueller Übergriffe. Verängstigte Männer beklagen nun, ihre Männlichkeit sei bedroht. Stellt sich die Frage: wer nimmt denn jetzt die Opferrolle ein? Oder geht es hierbei vielleicht eher um #MimimiToo?

von Anastasia Breunig Araneda

#MeToo

Unter dem Hashtag #MeToo hat sich eine kontroverse und breite Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalt entwickelt. Frauen, mittlerweile auch Männer, teilen ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen in den sozialen Netzwerken.

Bereits 2006 verwendete die Aktivistin Tarana Burke den Hashtag, um auf sexuellen Missbrauch an afroamerikanischen Frauen aufmerksam zu machen. Die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano griff im Oktober 2017, nach den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein, #MeToo wieder auf.

Nach den Anschuldigungen gegen Weinstein meldeten sich weltweit immer mehr Opfer sexueller Gewalt, sowohl Prominente als auch Privatpersonen. Ende des Jahres 2017 kürte das Time Magazin die Frauen, die #MeToo in Gang brachten, zur „Person of the Year“. Im Mai 2018 wurden allein auf Twitter 12,7 Millionen Inhalte mit dem Hashtag #MeToo verbreitet.

Sexismus in der deutschen Filmbranche

Die #MeToo-Debatte erreichte auch die deutsche Filmbranche. Anfang Januar 2018 nannten erstmals auch in Deutschland Frauen öffentlich den Namen eines Beschuldigten in der Diskussion um sexuelle Gewalt. Es handelt sich hierbei um den bekannten Regisseur Dieter Wedel, dem gewalttätige Übergriffe und sexuelle Nötigung vorgeworfen werden. Der 75-Jährige weist alle Anschuldigungen zurück.

Alles begann damit, dass Wedel Ende 2017 behauptete, selbst als Opfer Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht zu haben. Er möchte beweisen, dass auch Männer solchen Übergriffen ausgesetzt sind. Laut eigener Aussage wurde er zu Beginn seiner Karriere mehrfach für schwul gehalten. Homosexuelle Regisseure und Schauspieler hätten ihn unter Druck gesetzt.

Für drei Frauen ging die Meldung Wedels zu weit. Da nun ausgerechnet er über sexuelle Belästigung klagt, berichten die ehemaligen Schauspielerinnen Jany Tempel und Patricia Thielemann öffentlich über ihre Erinnerungen an den Regisseur und geben dazu eidesstattliche Versicherungen ab. Eine dritte Frau berichtet dem ZEITmagazin anonym. Auch ehemalige Mitarbeiter von Dieter Wedel erzählen von seinem Umgang mit Schauspielerinnen. So soll er zum Beispiel eine Schauspielerin, die Wedels angebliche sexuelle Annäherungsversuche abwehrte, bei Dreharbeiten angebrüllt und unter Druck gesetzt haben.

Schauspielerin Jany Tempel erzählte dem ZEITmagazin, Wedel habe sie 1996 zu einem Vorsprechen als Darstellerin in seinem Hotelzimmer im Bademantel empfangen. Er soll sie mit Wucht gepackt, gegen die Wand gepresst und dann mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben. Ihre Schilderungen ähneln den Berichten der anderen Frauen.

Dieter Wedel selbst lehnte ein Treffen mit dem Magazin ab. Nachdem er mit den Vorwürfen schriftlich konfrontiert wurde, gab er eine Erklärung in Form einer eidesstattlichen Versicherung ab. Er bestreitet sowohl den Vorwurf, Frauen physisch bedrängt oder belästigt zu haben, noch hat er versucht, sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Auch schreibt er, niemals eine Schauspielerin für ein Vorsprechen im Bademantel empfangen zu haben.

Patriarchale Machtverhältnisse

Obwohl Jany Tempel vor ihrem Vorstellungsgespräch Gerüchte über Wedels sexuelle Annäherungsversuche gegenüber Schauspielerinnen gehört hatte, überwog bei ihr die Hoffnung, die „große Rolle“ im Film zu bekommen – und ließ sich daher auf das riskante Gespräch ein.

Tempel ging es in dieser Situation vermutlich wie vielen anderen: häufig ist es so, dass sich Frauen in ähnlich heiklen Situationen nicht wehren, da sie Angst vor einem Karriereende haben. Besonders beruflich erfolgreiche Männer glauben, sich „alles“ leisten zu können. Sie sind häufig diejenigen, die ihre Macht ausnutzen, auch in Form von sexueller Gewalt. Ein Phänomen, das nicht nur erfolgreiche Männer betrifft, sondern generalisiert werden kann. Der Grund dafür sind patriarchale Machtverhältnisse, wodurch Frauen der männlichen Machtausübung grundsätzlich unterlegen sind.

Wir leben in einer patriarchalen Kultur, die von Männern dominiert wird. Es existiert entweder Macht und Kontrolle oder Ohnmacht und Unterwerfung. Wer den anderen nicht kontrollieren kann, wird selbst zum Unterlegenen. Insgesamt sind die gesellschaftlich dominanten Bereiche eher Domäne der Männer. Hier werden Männer aufgewertet und Frauen herabgesetzt. Das Feminine wird dem Maskulinen oft untergeordnet. Da der männlich beschränkte Blick und der einseitig männliche Wissenskanon in unserer Kultur als objektiv ausgegeben werden, ergibt sich als Konsequenz, dass Frauen als minderwertig erscheinen. Männer neigen dazu, sich selbst hoch bewerte Eigenschaften zuzuschreiben und Frauen als „schwaches“ Geschlecht abzuwerten. Sie haben die Macht, ihre Ideologie als Norm zu erheben. Dass Männer diese teilweise entsprechend realisieren, zeigen die Vorwürfe der Betroffenen unter dem Hashtag #MeToo.

Egal ob alltäglicher Sexismus oder skandalöse, sexuelle Straftaten – unsere gesellschaftlichen Machtstrukturen sind das Problem in Bezug auf diese Sexismusdebatte. Wir leben in einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft. Außerdem führt die Verteilung von Opfer- und Täterrollen momentan zu einer radikalen Geschlechterdifferenzierung: Frauen vs. Männer. Diese kollektiven Identitäten, Frau als Opfer und Mann als Täter, sind sehr problematisch.

#MimimiToo

Die #MeToo-Debatte sorgt immer mehr für Verunsicherung bei den Männern. Denn neben Sexualstraftaten, wie Missbrauch und Vergewaltigung, nutzen viele Frauen den Hashtag auch, um auf alltägliche sexuelle Belästigungen aufmerksam zu machen. Ist nun jeder Mann ein Sexist? Sind alle Männer Täter? Wo liegt die Grenze zwischen Kompliment und Belästigung?

Die deutsche Komikerin Carolin Kebekus machte sich in einer aktuellen Folge ihrer Fernsehsendung Pussy Terror TV über diese Verunsicherung lustig. In der Ironie ihres Beitrags steckt allerdings sehr viel Wahres: durch die #MeToo-Debatte wissen viele Männer nicht mehr, wie weit sie bei Frauen überhaupt noch „gehen dürfen“ und wann die Grenze überschritten ist. Immer mehr Männer behaupten, ihre Männlichkeit sei bedroht und beklagen sich darüber. Obwohl es bei der Diskussion hauptsächlich um Frauen geht, die einem sexualisierten Machtmissbrauch ausgeliefert sind und einen echten Grund hätten, sich zu beklagen, sind es nun die Männer, die jammern und die Opferrolle einnehmen. Carolin Kebekus geht das zu weit. Sie schlägt deshalb einen neuen Hashtag vor, der sich für die verängstigten Herren besser eignen würde: #MimimiToo. Mit diesem humorvollen Beitrag spricht die Komikerin vielen Frauen und Betroffenen aus der Seele. Doch die Diskussion geht weiter. Zurecht, wie andere behaupten.

Quellen:

[1] Bilden, Helga (1985): Sozialisation und Geschlecht. Ansätze einer theoretischen Klärung. In: Bührmann, Andrea D./Diezinger, Angelika/Metz-Göckel, Sigrid (Hrsg.): Arbeit – Sozialisation – Sexualität. Zentrale Felder der Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden 2014: Springer VS, S. 214-215.

[2] Der Tagesspiegel (2018): Schauspielerinnen werfen Dieter Wedel sexuelle Übergriffe vor. https://www.tagesspiegel.de/kultur/metoo-in-deutschland-schauspielerinnen-werfen-dieter-wedel-sexuelle-uebergriffe-vor/20809728.html, abgerufen am 14. Juni 2018.

[3] Gießener Allgemeine Zeitung (2017): #metoo: „Mehr Emphatie kann das Problem lösen“ https://www.giessener-allgemeine.de/regional/hessen/Hessen-metoo-Mehr-Emphatie-kann-das-Problem-loesen;art189,340510, abgerufen am 14. Juni 2018.

[4] Handelsblatt (2018): Wieso #MeToo nicht in Vergessenheit gerät. http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/digitaletransformation/republica-2018-wieso-metoo-nicht-in-vergessenheit-geraet/21245372.html?ticket=ST-918340-tJPMiT6Rk4Ey5oCjmC5f-ap2, abgerufen am 14. Juni 2018.

[5] Süddeutsche Zeitung (2018): Wie sich die „MeToo“-Debatte entwickelt hat. http://www.sueddeutsche.de/leben/gleichberechtigung-wie-sich-die-metoo-debatte-entwickelt-hat-1.3932250, abgerufen am 14. Juni 2018.

[6] Taz (2018): Der verdrängte Sexismus. http://www.taz.de/!5481091/, abgerufen am 14. Juni 2018.

[7] WDR (01/2018): Carolin Kebekus: PussyTerror TV. https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/pussy-terror-tv/video-carolin-kebekus-pussyterror-tv–104.html, abgerufen am 14. Juni 2018.

[8] Welt (2017): Bin ich jetzt Sexist? Männergedanken zur #Metoo-Debatte. https://www.welt.de/vermischtes/article170300844/Bin-ich-jetzt-Sexist-Maennergedanken-zur-Metoo-Debatte.html, abgerufen am 14. Juni 2018.

[9] Zeit Magazin (2018): Dieter Wedel. Im Zwielicht. https://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/02/dieter-wedel-regisseur-sexuelle-uebergriffe-vorwuerfe, abgerufen am 10. Juni 2018.

[10] Zeit Online: #METOO. Wie gleichberechtigt sind Mann und Frau? https://www.zeit.de/thema/metoo, abgerufen am 14. Juni 2018.

Sexismus und Werbung: Wie uns die Werbeindustrie zurück in die 50er Jahre versetzt

Fußball ist Männersache und Frauen gehören in die Küche – zumindest sagt das Dr. Oetker und empört damit die Nation. Doch Sexismus und veraltete Rollenbilder in der Werbung sind leider kein Einzelfall.

von Anne Raderschall

Die 21. FIFA Fußball-Weltmeisterschaft ist derzeit in aller Munde und viele Firmen nutzen den neu aufgeflammten Hype, um ihre Produkte auf dem Markt zu platzieren. Doch nicht allen gelingt dabei eine Punktlandung, so manch einer schießt mit seiner Werbung wohl eher über das Ziel hinaus. So zum Beispiel auch das deutsche Traditionsunternehmen Dr. Oetker, das in den vergangenen Jahren eigentlich moderne Geschlechts- und Rollenbilder in seinen Werbemaßnahmen eingesetzt hat. Die aktuelle Kampagne „Love Cake“ für den schweizer Markt katapultiert den Betrachter jedoch um gut 60 Jahre zurück. 

„Back deinen Mann glücklich“, so lautet der Werbeslogan der aktuellen schweizer Kampagne. Passend dazu zeigt das Bild eine hübsche junge Frau mit Schürze und einem Kuchen in der Hand, der wie ein Fußball aussieht. Die Anzeige erinnert damit stark an die 50er und 60er Jahre, in denen das Unternehmen mit Frau Renate gezielt die weibliche Zielgruppe ansprach.  

„Werbung muss sich, um ihr Ziel zu erreichen, an ihrem Publikum orientieren“. Aber ist die Gesellschaft heute noch so, wie vor 60 Jahren? Damals waren die Geschlechterrollen in der Gesellschaft klar definiert und die Aufgaben der Frau bestanden darin gut auszusehen und für den Haushalt zu sorgen. Fußball war gleichzeitig „Männersache“ und somit ein Terrain, auf dem Frauen nichts zu suchen hatten. Ganz wichtig dabei: Hatten. Denn heute sieht das eigentlich ganz anders aus. Die deutsche Frauen-Fußballnationalmannschaft ist ein „Team der Rekorde“ und Frauenquoten in Aktienunternehmen zeigen, dass das vermeintlich schwache Geschlecht doch mehr kann als kochen und putzen (1). 

Das Netz ist empört 

Kein Wunder also, dass die Reaktionen auf die Werbekampagne nicht durchweg positiv waren. Zwar gab es auch einige Stimmen, die von gelungenem Marketing sprachen, doch der Shitstorm gegen den deutschen Lebensmittelhersteller ließ nicht lange auf sich warten. Der Tweet von Linda van Rennings, Leiterin der Online Kommunikation von bitkom e.V., spielt dabei gezielt auf einen Slogan aus dem Jahr 1954 an, der das oben dargestellte Rollenbild bestens beschrieb „Sie wissen ja: Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen und was soll ich kochen?“ (2).

 

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Quelle (3)

 

Und nicht nur weibliche Nutzerinnen machten ihrem Unmut über die Werbung auf der Online-Plattform Twitter Luft. So äußerten sich auch einige Männer kritisch und machten klar, dass Sexismus nicht nur aus „nackten Körpern“, sondern auch aus veralteten Rollenmustern besteht (4)

 

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Quelle (5)

 

Stereotype Rollenbilder in der Werbung 

Dass Werbung sich häufig an Klischees oder Stereotypen bedient, ist zunächst einmal nicht besonders kritisch anzumerken, dienen sie doch einer „Komplexitätsreduktion“ (6). Das soll heißen, dass stereotype Bilder von Frauen und Männern eingesetzt werden, da es den Rahmen von Werbung sprengen würde, wenn jedes individuelle Verständnis von „Frau sein“ oder „Mann sein“ angesprochen werden müsste.   

Auch der deutsche Werberat, der die Selbstkontrollinstanz der deutschen Werbeindustrie darstellt, sieht stereotype Darstellungen in Werbungen nicht grundsätzlich als problematisch an. Dennoch hat er gewisse Richtlinien erstellt, an denen sich die Werbetreibenden orientieren müssen. So ist es beispielsweise durchaus in Ordnung, dass „Frauen [auch] in der Werbung häufiger im Zusammenhang mit Hausarbeiten oder den Kindern gezeigt“ werden, da dieses Bild noch immer der durchschnittlichen Realität von Familien entspricht. Im Gegensatz dazu wäre es nicht in Ordnung der Frau diese Aufgaben „als Pflicht oder naturgegeben“ zuzuschreiben (7). 

Sexismus – eine Frage der Perspektive? 

Ob es sich bei der besagten Werbung von Dr. Oetker nun um eine Darstellung von Familien-Realität handelt, oder doch eher um eine als Pflicht zugeschriebene Aufgabe der Frau, liegt vermutlich ganz im Auge des Betrachters. So argumentieren viele Nutzerinnen auf Twitter, dass sie die Werbung keinesfalls als problematisch erachten und sich sogar sehr gut repräsentiert fühlen.  

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Quelle (8)

 

Und auch der Lebensmittelhersteller selbst verteidigt seine stark polarisierende Werbeidee. Gegenüber dem Schweizer Nachrichtenportal 20min.ch stellte Dr. Oetker klar, dass die Kampagne „von einem Team ausschliesslich aus modernen Frauen und teilweise auch Teilzeit arbeitenden Müttern entwickelt“ wurde und somit keinesfalls sexistisch, sondern „mit einer gewissen Ironie“ zu verstehen wäre (9). 

Ob Ironie eine geeignete Methode ist, um Sexismus in der heutigen Welt zu begegnen, oder ob wir dem Thema ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit schenken sollten, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Auf der einen Seite ist es selbstverständlich eine Frage der eigenen Einstellung, ob ich mich durch eine solche Werbung angegriffen fühle oder nicht. Auf der anderen Seite sollte man doch meinen, dass unsere westliche Welt inzwischen so aufgeklärt und die Emanzipation so weit fortgeschritten ist, dass Frauen in der Werbung nicht mehr nur als Hausfrau und Mutter „abgestempelt“ werden. 

Kein Einzelfall 

Dass es sich bei der Kampagne von Dr. Oetker nicht um einen Einzelfall handelt, wenn es um fragwürdige beziehungsweise veraltete Rollenbilder in der Werbung geht, verdeutlicht der Lidl-Prospekt mit Angeboten zum Muttertag. Der Discounter warb im Mai diesen Jahres damit, dass Muttertag die Zeit wäre, um sich bei seiner Mutter zu bedanken – mit Haushaltswaren natürlich.  

 

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Quelle (10)

 

Diese Werbemaßnahme brachte dem Discounter einen Shitstorm ein, bei dem – ähnlich wie bei Dr. Oetker jetzt – das veraltete, klischeehafte Rollenbild der Frau kritisiert wurde. Doch auch in diesem Fall gab es einige Stimmen, die die Aufregung um den vermeintlichen Sexismus-Skandal nicht nachvollziehen konnten. Schließlich handele es sich bei den im Prospekt angepriesenen Produkten ausschließlich um hochwertige Markenprodukte, die man oder in diesem Fall eher Frau sich nicht unbedingt „mal eben so“ selber kauft. Und sind wir doch mal ehrlich: So ein Saugroboter verschafft einer modernen Frau doch auch einfach viel mehr Zeit, um sich auf die Karriere zu konzentrieren.  

 Quellen:

(1) Deutscher Fußball Bund, unter: https://www.dfb.de/frauen-nationalmannschaft/statistik/, abgerufen am 14.06.2018.

(2) Werbevideo Dr. Oetker (1954): „Wenn man’s eilig hat“. https://www.youtube.com/watch?v=pRHb4k9p7Ek , abgerufen am 14.06.2018.

(3) https://twitter.com/LindaVrengs/status/1004664330820997122, abgerufen am 14.06.2018.

(4) https://twitter.com/chris_berg_er/status/1006508209891405824, abgerufen am 14.06.2018.

(5) https://twitter.com/maciejpalucki/status/1006539498988146688, abgerufen am 14.06.2018.

(6) Holtz-Bacha, Christina (2008): Köcheln auf kleiner Flamme. Frauen und Männer in der Werbung – ein thematischer Dauerbrenner. In: Stereotype?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, S. 5-13. 

(7) Deutscher Werberat unter: http://www.werberat.de/stereotype-darstellungen, abgerufen am 14.06.2018.

(8) https://twitter.com/I_belong_withu/status/1005086997696909313, abgerufen am 14.06.2018.

(9) 20min.ch (07.06.2018): Dr. Oetker holt Frauenbild aus den 50ern zurück. Unter: http://www.20min.ch/finance/news/story/Dr–Oetker-holt-Frauenbild-aus-den-50ern-zurueck-28511572, abgerufen am 14.06.2018.

(10) https://twitter.com/pinkstinksde/status/991951931483582464, abgerufen am 14.06.2018.

 

 

Liebe auf den ersten Swipe

Die Geschlechterdifferenzierung beim Online-Dating

Im Internet potenzielle Partner auszuwählen ist heute so normal wie das Stöbern in den unendlich breit gefächerten Produktpaletten von Online-Shops. Gleichzeitig wird überall über Feminismus, Gleichberichtigung und allgemeine Gender-Themen diskutiert. Da die Partnersuche essentiell auf Geschlechterkategorien basiert, lohnt sich ein Blick auf die Inszenierung des Geschlechts beim Online-Dating sowie die (vermeintlichen) Unterschiede im Verhalten weiblicher und männlicher User.

Von Lena Brohl

Wie funktioniert Online-Dating?

Einer von zehn Amerikanern nutzt Online-Dating-Angebote. Diese Statistik stammt aus einer Studie aus dem Jahr 2013.[1] Heute dürfte die Zahl bereits höher sein und auch in Deutschland erfreuen sich Dating-Plattformen wie Parship, Tinder und Co. größter Beliebtheit. Die Funktionsweise derartiger Angebote ist denkbar einfach: Account erstellen, persönliche Informationen und Erwartungen sowie ein aussagekräftiges Foto hochladen und schon kann die digitale Partnersuche beginnen.

Die optimale Selbstvermarktung erfolgt, angelehnt an die Bourdieu’sche Kapitaltheorie, durch eine möglichst präzise und ansprechende Produktbeschreibung. Ein besonderer Wert kommt Unikaten zu, denn kreativ gestaltete Profile heben sich vom Massenprodukt mit 0815-Beschreibungen, die im Zweifel auf jeden zutreffen, ab.[2] Dennoch finden sich in den Textfeldern immer wieder sehr ähnliche Beschreibungen mit nahezu identischer Wortwahl. Dabei handelt es sich um „kulturelle[…] Skripte der wünschenswerten Persönlichkeit.“[3] Eine Strategie, derer sich trotz der fehlenden Aussagekraft konventionalisierter Floskeln viele User bedienen. Zu begründen ist dies unter anderem mit dem menschlichen Bestreben, Kategorisierungen vorzunehmen und Vergleichbarkeit zu schaffen. Die Selbsteinschätzung und -darstellung gehen wesentlich leichter von der Hand, wenn man sich bereits vorhandenen Identitätsmarkern zuordnen kann.

Was hat all das mit „Geschlecht“ zu tun?

Die Zuweisung der eigenen Person zu einem Geschlecht und einer benennbaren, sexuellen Orientierung stellen die zentralen Kategorisierungen beim Online-Dating dar, weil nahezu alle Funktionen und Handlungen auf Dating-Plattformen von diesen beiden Kriterien abhängen. Die gesamte Identität wird gegendert.[4]

Das Geschlecht inszenieren die User auf verschiedenen Ebenen. Es gibt explizite Indizes, wie etwa die Auswahl einer vorgegebenen Geschlechtskategorie (männlich, weiblich, intersexuell) oder aber indirektere Hinweise, die bei der performativen Inszenierung der Genderrolle von Bedeutung sind.[5] Die Darstellung und Interpretation dessen basieren auf kulturellem Wissen. Daher sind die Assoziationen bestimmter Merkmale mit gewissen Kategorien nicht allgemeingültig und verändern sich im Laufe der Zeit, wohingegen die Zuordnung zum biologischen Geschlecht universell über die primären Geschlechtsmerkmale erfolgt.

Die Inszenierung einer Genderrolle erfolgt beispielsweise über Konsumgüter, kulturelle Vorlieben, Jobs und Hobbys, die im jeweiligen Kulturkreis mit einem Geschlecht assoziiert werden. Auch äußere Merkmale, wie die Frisur, bestimmte Accessoires und die Statur, geben Hinweise auf die Geschlechtsidentität. Online sind die Partnersuchenden daher Autoren ihres virtuellen Selbst: Sie produzieren (intentional) ein Puzzle aus Hinweisen und handfesten Informationen, um ein meist eineindeutig zugeordnetes Geschlechtsprofil zu kreieren.[6] Dabei können sie, im Gegensatz zur Face-to-Face-Situation, entscheiden, welche Merkmale sie preisgeben, welche verborgen bleiben und ob sie die Angaben gegebenenfalls manipulieren möchten.

(Vermeintliche) Geschlechterunterschiede in der Nutzung

Zehn Studien sagen aus, dass männliche User häufiger auf Online-Dating-Plattformen surfen. Weitere Studien zeigen, dass Männer häufiger die erste Nachricht verschicken, wobei es Belege dafür gebe, dass sie darauf seltener Antworten erhalten als weibliche User. Wurde das Interesse der Frau jedoch geweckt, schreibe sie im Schnitt deutlich mehr als ihr männlicher Gesprächspartner. Den Frauen wird dabei auch mehr Emotionalität und Kreativität nachgesagt.[7]

Diese Befunde werden mit klassischen Rollen, bekannt aus der gut erforschten Face-to-Face-Situation, verknüpft: Der Mann (aktiv) sucht sich eine Frau (passiv) aus und macht den ersten Schritt. Dann entscheidet sie, ob es weitergeht. Manche Forscher gehen davon aus, dass durch die Kommunikationsbedingungen im Netz die Gelegenheit für Frauen bestehe, ihre traditionelle Rolle zu überwinden und selbst den ersten Schritt zu machen. Zudem sei es aufgrund der distanzierten Kommunikationssituation leichter, Annäherungsversuche abzulehnen.[8]

Evolution

Wissenschaftler legitimieren ihre Befunde bezüglich genderspezifischem Verhalten über die Evolution.[9] Das ist ziemlich clever, denn diese Form der Argumentationsführung klingt sehr logisch und höchst wissenschaftlich. Kern der Thesen ist die Kompensationstheorie: Da eine Frau in Sachen Reproduktion mehr leiste, müsse der Mann diese Investition mit Geld, sozialem Status und weiteren Absicherungen kompensieren.[10] Eine Frau suche daher nach einem Mann, der diese Ressourcen mitbringt, während dieser primär die Reproduktionsfähigkeit seiner Partnerin anvisiere und daher großen Wert auf ihr Alter, ein gesundes Aussehen sowie die Taille-Hüfte-Relation lege.[11]

Tatsächlich belegen Online-Dating-Studien, dass Männer bei der Partnerwahl eher auf äußere Merkmale setzen, während Frauen den Fokus tendenziell auf sozioökonomische Faktoren legen.[12] Dies spiegele sich laut evolutionspsychologischer Studien auch in den Profilfotos wider. Männer fotografierten sich tendenziell eher von unten um größer zu wirken, da Größe mit Macht assoziiert wird. Entsprechende Tests belegen, dass die geschlechtsspezifischen Fotoperspektiven tatsächlich beim Gegenüber besser anzukommen scheinen.[13]

Reflektion

Die geschilderten Ergebnisse aus der Online-Dating-Forschung sind kritisch zu bewerten. Problematisch ist zunächst, dass es sich ausschließlich um heteronormative Diskurse handelt. Die evolutionäre Theorie, die zur Naturalisierung der Unterschiede herangezogen wird, ist in diesem Kontext nicht zeitgemäß. Die Emanzipation der Frau, Gleichstellungsinitiativen, Paare, die gar keine Kinder bekommen möchten, Verbindungen, die nicht dem Bild einer traditionellen Beziehung entsprechen – bereits an diesen Stellen endet die Aussagekraft der Kompensationstheorie.[14]

Gehen geschlechtsbasierte Verhaltensanalysen dennoch so weit, dass die Programmierung der Plattformen an vermeintlich allgemeingültige Geschlechtseigenschaften gekoppelt wird, kann es zu einer stereotypisierten, mitunter diskriminierenden Kategorisierung kommen. Auf einigen Seiten haben Männer bereits limitierten Zugang zu Informationen, sodass weitere Leistungen käuflich erworben werden müssen, während diese Funktionen für Frauen gemeinhin kostenfrei angeboten werden.

Selbstverständlich performen wir alle Geschlechterrollen und mitunter weisen diese durch die gesellschaftliche und kulturelle Sozialisierung auch gewisse Gemeinsamkeiten auf. Die kausale Bindung von generalisierten Geschlechtsidentitäten, stereotypen Verhaltensweisen, eindeutig zuordenbaren Merkmalen und gegenderten Gebrauchsgegenständen vernachlässigt dennoch die Diversität der sozialen Wirklichkeit und lässt nur wenig Spielraum für Individualität, was gerade beim Online-Dating zu einer stetigen Reproduktion enger, eingestaubter Geschlechterrollen führt.

Quellen

[1] Smith, Aaron und Duggan, Maeve (2013): Online Dating & Relationships. Online unter: http://www.pewinternet.org/2013/10/21/online-dating-relationships/

[2] Govrin, Jule (2017): Das Kalkül mit der Lust. Online unter: http://www.zeit.de/kultur/2017-12/onlinedating-sexuelle-orientierung-sexualitaet-gender-10nach8

[3] Illouz, Eva (2007): Gefühle in Zeiten des Kapitalismus – Adorno-Vorlesungen 2004. Aus dem Englischen von Martin Hartmann. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 124.

[4] Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper, Wiesbaden: VS, S. 163.

[5] Fullick, Melonie (2013): „Gendering“ the Self in Online Dating Discourse. Online unter: http://www.cjc-online.ca/index.php/journal/article/view/2647/2798

[6] Ebd.

[7] Harvey, Scott (2018): From Academia: Gender Differences in Online Dating (Literature Review). Online unter: globaldatinginsights.com/2018/01/05/from-academia-gender-differences-in-online-dating-literature-review/

[8] Dang, Alex (o.J.): Gender Roles in Online Dating. Online unter: genderrolesinonlinedating.weebly.com/

[9] Abramova, Olga et al. (2016): Gender Differences in Online Dating: What Do We Know So Far? A Systematic Literature Review. S. 3. Online unter: http://www.researchgate.net/publication/281965128_Gender_
Differences_in_Online_Dating_What_Do_We_Know_So_Far_A_Systematic_Literature_Review

[10] Ebd.

[11] Hall, Jeffrey A. et al. (2010): Strategic misrepresentation in online dating: The effects of gender, self-monitoring, and personality traits. In: Journal of Social and Personal Relationships 27 (1), S. 117-135. Hier: S. 120.

[12] Harvey, Scott (2018): siehe oben.

[13] Sedgewick, Jennifer R. et al. (2017): Presenting Your Best Self(ie): The Influence of Gender on Vertical Orientation of Selfies on Tinder. In: Frontiers in Psychology 8 (604).

[14] Abramova, Olga et al. (2016): siehe oben.

#instaqueer – ‚We’re here, we’re queer, we’re not going anywhere‘

#instaqueer – ‚We’re here, we’re queer, we’re not going anywhere‘

Die User von Social Media-Plattformen wollen neben zahlreichen Informationen und Kontakt zu Freunden vor Allem eins: Sich, ihren Körper und ihr Leben präsentieren und darstellen. Am Beispiel des Instagram-Stars Bretman Rock soll hier gezeigt werden, wie Queers diese Form des Identitätsmanagements nutzen, um sich selbst und ihre Leben im Social Web darzustellen.

von Désirée Fischer

Jeffree Star, Manny Gutierrez, Patrick Starrr, Bretman Rock – für manche User sind diese Namen ein Begriff, andere können gar nichts damit anfangen. Alle vier sind Social Media-Stars und alle vier sind queer. Sie haben zigtausende oder gar Millionen Follower auf YouTube, Twitter, Snapchat und Instagram und geben ihnen dort hilfreiche Tipps und Tutorials zum Thema Schminken und außerdem Einblicke in ihr privates Leben. Sucht man bei Youtube nach Make up-Tutorials bekommt man mittlerweile neben zahlreichen Videos von Frauen auch Clips von den vier obengenannten und anderen Queers, die den Damen in Sachen Professionalität in nichts nachstehen und diese oft sogar übertrumpfen.

Bretman Rock ist, wie bereits erwähnt, einer dieser außergewöhnlichen Social Media-Stars. Er wurde auf den Philippinen geboren, lebt auf Hawaii und hat mittlerweile 8,4 Millionen Follower auf Instagram (außerdem Snapchat, YouTube und Twitter) mit seinen humorvollen und teils recht schrägen Videos und Fotos von sich überzeugt. Eine Einordnung in die gesellschaftlich-kulturelle Geschlechtsnorm der Zweigeschlechtlichkeit ist bei ihm und den anderen nicht denkbar. Anatomisch „männlich“ lässt sich Bretman Rock nicht in das für kausal gehaltene „soziale Mann-Sein“ hineinzwängen. Andererseits ist er auch nicht, wie laienhaft von einem Teil der Bevölkerung angenommen werden könnte, transsexuell. Er spielt vielmehr mit „typisch weiblichen“ aber auch männlichen Attributen.

Make up ist hierbei ein wichtiger Aspekt. Von den meisten Menschen unseres Kulturkreises als „typisch weiblich“ definiert (natürlich gibt es auch hier Ausnahmen), ist es für Bretman Rock und seine Kollegen selbstverständlich, sich ein komplettes Make up ins Gesicht zu zaubern, um zur High School oder zur Arbeit zu gehen. Dabei wird eher selten wie z. B. bei einer Drag Queen eine völlige Überzeichnung, durch professionelles Theater-Make up, zum „typisch weiblichen“ angestrebt. Viel mehr werden die natürlichen Vorzüge gekonnt betont. Nur manchmal kommt es bei Bretman Rock dazu, dass er sich mit Theater-Make up, Perücke, Schmuck und falschen Fingernägeln in Szene setzt, aus Lust daran eine Rolle zu spielen und sich auszuprobieren. Dabei fällt auf, dass zwar auch „Frauenkleidung“ getragen wird, aber keine körperlichen Merkmale, wie Brüste, „imitiert“ werden. Es sind also die widersprüchlichen sichtbaren Indizien, die eine irritierende und außergewöhnlichen Mischung aus „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ hervorbringen (https://www.instagram.com/p/BWg4y9dFGuY/?taken-by=bretmanrock).

Für Außenstehende kann dies verwirrend sein, sodass sie ein bestimmtes Merkmal, z.B. das Tragen von Make up, als weiblich identifizieren und so alle anderen Merkmale daraufhin gelesen werden. Die Queers unter den Social Media-Stars lassen sich natürlich nicht in diese Zweigeschlechtlichkeitsschublade stecken. Sie mischen kulturell als männlich kodierte Merkmale mit weiblich kodierten Merkmalen. Man sieht Bretman Rock aber ebenso natürlich, ohne Make up und in Jogginghosen über verschiedene Themen reden. Trotzdem wirkt er auch in diesem Fall eher androgyn. Das liegt vor Allem daran, dass seine Gestik und Mimik sowie seine Körpersprache eher weiblich wirken.

Die Mischung aus männlichen und weiblichen Attributen und das daraus resultierenden „Nicht-einordnen-können“ in die gesellschaftlich-kulturell hergestellte Geschlechtsnorm bringen auch heute noch viele Probleme für Queers mit sich. Bretman Rock stellt sich in den sozialen Medien sehr stark zur Schau, indem er das sagt, was er sagen möchte und das tut, was er tun möchte. Die sozialen Medien helfen ihm und anderen dabei, sich zu einer gemeinsamen Community zusammen zu finden und somit stärker gegenüber (verbalen) Angriffen von „Andersdenkenden“ zu sein. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass in den Kommentaren zu seinen Posts negative Äußerungen zu lesen sind. Einen Kommentar wie zum Beispiel: „You look like gay“ tut Bretman kurzer Hand mit der Bemerkung: ’He literally said I look like a sexuality’ in einem Video ab (https://www.instagram.com/p/zMKOYJBigU/?taken-by=bretmanrock).

Damit bringt er es gewissermaßen auf den Punkt: Man kann nicht wie eine sexuelle Orientierung aussehen. Es ist nicht möglich anhand eines anatomisch vorgegebenen Körpers (der durch verschiedene Dinge wie Make up modifiziert wurde) zu sehen, welchem Geschlecht oder welcher sexuellen Orientierung ein Mensch angehört oder ob er überhaupt irgendetwas angehören will oder kann.

Auch in der Realität ist es für Personen wie Bretman Rock weiterhin oftmals schwierig ein komplett unbeschwertes Leben zu führen. Er erläutert zum Beispiel des Öfteren, wie er in der High School für seine „Andersartigkeit“, für sein „nicht-ins-Schema-passen-wollen“ angegriffen wird (https://www.instagram.com/p/BTKis1cFeaR/).

Dies überspielt er zwar recht souverän mit viel Ironie und seinem leicht überzogenen Selbstbewusstsein, aber es ist zu spüren, dass auch an ihm diese Beleidigungen nicht spurlos vorbeigehen.

Trotzdem setzen sich er und seine Social Media-Kollegen oft und gerne für mehr Offenheit für und Interesse an der LGTB-Community ein. Dadurch tragen sie dazu bei, dass auch andere, die sich bislang nicht getraut haben, zu ihrer Sexualität stehen und diese ausleben. Nicht jeder muss so exzentrisch sein wie die queeren Social Media-Stars, schließlich verdienen diese auch ihr Geld damit, eine Show zu bieten, aber jeder kann und sollte zu dem stehen was er ist.

Quellen:

Degele, Nina (2008): Gender/Queer Studies, Paderborn: Fink.

 

Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper, Wiesbaden: VS.

 

https://www.instagram.com/bretmanrock/

https://www.instagram.com/p/BGQiB3YBith/?taken-by=bretmanrock

Ein Schritt weiter in die richtige Richtung

Von Bozhidar Marinov

Die Kreativität der Menschen und die Macht des Internets kommen zusammen, um eine farbenreiche Botschaft zu überbringen.

Ein Beitrag von Bozhidar Marinov, den. 21. Juni 2016

Zunächst einmal möchte ich erläutern, wie ich auf die Idee für diesen Blogbeitrag gekommen bin. Als ich im Internet unterwegs war, traf ich auf ein Video, eine Kurzgeschichte von weniger als sieben Minuten über eine Reise nach New York, hochgeladen von einem homosexuellen Paar – Mark und Ethan. Um ehrlich zu sein, habe ich nur Positives verspürt, nachdem ich das Video geschaut habe. Ich war tief beeindruckt von der Art und Weise, wie sie es gefilmt haben, wovon sie gesprochen haben und wie natürlich sich all das angefühlt hat. Aufgrund des Fakts wie viele sich das Video schon angeschaut haben und es bewertet haben, kann ich mir vorstellen, dass ich nicht der Einzige war, dem es so ergangen ist.

Um auf den Punkt zu kommen, habe ich es zu meiner Mission gemacht, all ihre Videos von Anfang an zu sehen und nach anderen LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) YouTubern zu suchen, da ich dachte, dass die Idee und die Botschaft dahinter sehr wichtig und bedeutungsvoll sind. Die meisten Kanäle dieser LGBT YouTuber fangen mit einer Coming Out Story oder ihrer Erfahrung davon an, um ihre Abonennten zu ermutigen und ihnen das Gefühl zu geben, dass Homosexualität, Bisexualität oder Transsexualität etwas normales ist, wofür man sich nicht schämen sollte.

Ich denke, dass die LGBT Community heutzutage besser von den Medien dargestellt wird als es noch vor einiger Zeit der Fall war. Lasst uns einen Moment das Ausmaß würdigen, das Youtube in letzter Zeit auf die Gesellschaft hatte. Obwohl die Webseite erst 2005 gegründet wurde, also erst elf Jahre besteht, hat sie es zu der erfolgreichsten Online-Videoplatform geschafft. Ich perönlich bin der Meinung, dass YouTube ein Platz der Kreativität geworden ist, wo man einen Blick hinter die Kulissen in sämtliche Bereiche des Lebens erhaschen kann – es bietet eine Zuschaerschaft von Millionen und gibt Menschen auf der ganzen Welt die Möglichkeit, über Situationen und Themen, die nicht im alltäglichen Fernsehen übertragen werden, zu sprechen. Es ist für jeden mit einem Internetanschluss und einer Kamera zugänglich.

Dank der Vielfältigkeit, wie YouTube weltweit benutzt wird, konnten wir über ein Jahrzehnt die Welt von allen möglichen Perspektiven betrachten. Es ist erstaunlich, wie sehr es dazu beiträgt, Wahrheiten zu verbreiten, zu Veränderungen anregt oder in diesem Falle die Gesellschaft stärkt. Einer der Vorteile bei sozialen Medien als Ausgangspunkt für das eben Erwähnte ist, dass man sich Zeit nehmen kann für die Botschaft, die man mit der Welt teilen möchte. Die LGBT Community ist hier für ein gutes Beispiel. YouTube ist ein Ort für Kreativität, wo Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transsexuelle mit ihren Freunden, ihrer Familie und Unterstützern ein angenehmes Umfeld und gute Unterhaltung schaffen können. Sie teilen ihre Geschichten und machen Menschen toleranter gegenüber ihrer Weltanschauung, indem sie der Gesellschaft eine andere Perspektive aufzeigen. Ich denke, das hat die Welt weiter- und die Gesellschaft zu sich gebracht. Zwar gibt es immer noch Menschen, die Homosexualität nicht nachvollziehen können beziehungsweise wollen, aber die Welt hat einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht, wie man es bei der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Amerika im Jahr 2015 sehen konnte. Alles braucht seine Zeit, aber ich bin sehr zufrieden mit den bisherigen Veränderungen.

Als erfolgreicher YouTuber hat man Millionen von Abonennten, die zu einer riesigen und treuen Zuschauerschaft werden. Die wichtigsten Gründe dafür sind, dass man YouTuber besser nachvollziehen kann und dass sie einem nicht so fremd erscheinen. Denn nicht alle Jugendliche und junge Erwachsene können sich mit dem Leben und dem Geld von Prominenten identifizieren. YouTuber sind auch nur normale Jugendliche, junge Erwachsene oder Familien, die coole Sachen machen und Aufmerksamkeit für ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten bekommen – das ist was die heutige Generation beeindruckt. Sie sind ehrlich, einzigartig und unterhaltsam. Sie haben YouTube als ihre Leidenschaft entdeckt und zeigen dadurch wer sie sind.

Natürlich gibt es auch Hindernisse und Schwierigkeiten, mit denen LGBT-Personen zu kämpfen haben, wie zum Beispiel alltägliche Diskrimination – egal ob online oder im realen Leben; Menschen in dieser Lage müssen oft mit Mobbing und ähnlichen zurechkommen und es wird immer so sein, dass man mit so etwas zu tun haben wird. Allerdings sollte man sich auf das Positive konzentrieren, das all diese negativen Erfahrungen mit sich bringen.

Kommen wir nun zu dem Punkt, wo alle LGBT-Personen durch eins der größten Internetphänomene zusammenkommen. Man kann beobachten, dass viele Vorbilder für Teenager und junge Erwachsene in Erscheinung treten und über ihre Sexualität sprechen. Heutzutage ist es wahrscheinlicher, dass die eigene Sexualität akzeptiert wird, da den Jugendlichen viel mehr Informationen über dieses Thema gegeben werden und man eher bekennende Schwule oder Lesben im Fernsehen oder im wahren Leben antrifft.

Die LGBT Community hat mithilfe von YouTube eine neue Richtung eingeschlagen und zwar das Ermutigen zum Outen durch das Teilen der eigenen Erfahrungen und Reaktionen anderer Menschen auf ihre sexuelle Neigung. Durch die Videos bekannter YouTuber wird gezeigt, dass das Bekanntgeben jeglicher Sexualität nicht zwingend eine schlechte Erfahrung sein muss und man sich nicht dafür schämen sollte. Auf solche Enthüllungen folgen Millionen von Aufrufen, positive Bewertungen und Kommentare und bei manchen hin bis zur medialen Aufmerksamkeit. Neben dem Ermutigen der Zuschauer produzieren einige der YouTuber zusammen mit anderen gleichgesinnten YouTubern Videos über Themen zu diesem Bereich, wie zum Beispiel der erste Kuss, ihre Erfahrungen nach dem Outen oder die Probleme, mit denen sie zu kämpfen hatten. Andere hingegen machen verschiedene Tutorials. Sehr interessant sind auch die Zuschauertreffen, die sie im ganzen Land organisieren – es wird eine Zeit und ein Ort bestimmt, wo dann die Möglichkeit besteht, mit den Zuschauern in Kontakt zu treten, mit ihnen über verschiedene Dinge zu sprechen oder etwas zusammen zu unternehmen. Außerdem statten einige YouTuber ihren Zuschauern einen Überraschungsbesuch ab, um sie zu ermutigen, nachdem sie mitbekommen haben, dass sie durch eine schwierige Zeit gehen.

Hier sind einige LGBT YouTuber, auf die ich gestoßen bin und sehr interessant finde:
• Mark und Ethan – ein junges homosexuelles Paar aus Bloomington, Indiana, das seinen Alltag dokumentiert https://www.youtube.com/channel/UCFtL-Sj2lRM9W3WPF1gt3-Q
• Davey Wavey – ein YouTuber, der dafür bekannt ist, über Tabus zu sprechen und Sextipps zu geben https://www.youtube.com/channel/UCnk1h9Fx1Nk48WKV9zmeoBA
• Ingrid Nilsen – eine YouTuberin, die über Mode, Kosmetik und Lifestyle spricht und die bereits viele Zuschauer hatte, bevor sie sich auf ihrem Kanal geoutet hat https://www.youtube.com/user/missglamorazzi
• Gigi Gorgeous – eine transgender YouTuberin, die ihre Transformation auf YouTube dokumentiert hat und die Make-Up-Tutorials oder „Monthly Favourites“-Videos macht https://www.youtube.com/channel/UCzco9CewPf0F-SP1p6LhWrw
• The Rhodes Bros – homosexuelle Zwillinge, die durch ein Video bekannt wurden, in dem sie sich bei ihrem Vater geoutet haben und damit mediale Aufmerksamkeit, zum Beispiel von der Moderatorin Ellen DeGeneres, bekommen haben https://www.youtube.com/user/TheRhodesBros

Zu guter Letzt – die negativen Konsequenzen die auftreten können, wenn man sich nicht outet. Ich finde es bemerkenswert, dass die YouTube-Stars versuchen, ihre Zuschauer zu bestärken, aus ihrer Sexualität kein Geheimnis zu machen. Eine Coming-Out-Geschichte ist etwas sehr persönliches, was zeigt, wie viel die Zuschauer den YouTubern bedeuten. Viele LGBT-Personen sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Homosexualität oder Transsexualität nicht toleriert wurden und teilweise bis heute noch nicht akzeptiert sind. Das führt dazu, dass die LGBT Leute ihre eigene Sexualität hinterfragen und denken, es sei etwas unnatürliches und abnormales, weswegen sie ihre Neigungen von früh auf unterdrücken. Daher kommt es oft vor, dass Homo-, Bi- oder Transsexuelle mit dem anderen Geschlecht eine Beziehung eingehen, um sich vor dem gesellschaftlichen Druck zu entziehen, was zur Folge hat, dass sie nie wirklich glücklich sind. Sie haben Angst, sich auf eine Person einzulassen, da sie Gefühle für sie entwickeln könnten. Somit kommt es vor, dass Leute, die ihre wahre Sexualität verheimlichen, sich von Personen fernhalten, die zwar die gleichen sexuellen Interessen teilen aber offen damit umgehen und ihnen sogar weiterhelfen könnten, mit dieser Situation umzugehen.Das kann zu schweren psychischen Problemen oder Störungen führen, zum Beispiel allgemeines Unwohlsein oder Depressionen.

Als Fazit würde ich gerne Ingrid Nilsen zitieren: „I’m giving myself the best chance and so should you.”

Geschlechterdarstellung durch Emojis – inspiriert von der Kampagne #WieEinMädchen

von Didem Leblebici

Wort des Jahres 2015 von Oxford: Face With Tears of Joy on Apple iOS 9.3

Ist dieses gelbe Gesicht männlich oder weiblich? Sollte es ein Lippenstift oder lange Haaren haben, um weiblich zu wirken? In diesem Essay möchte ich die Geschlechterdarstellung durch Emojis auf der Basis der Kampagne von Always #likeagirl (#wieeinmädchen) diskutieren.

„Emoji: A small digital image or icon used to express an idea or emotion in electronic communication.“ definiert Oxford Dictionary. Ursprünglich kommt das Wort aus dem Japanischen: ‚e‘ bezeichnet das Bild und ‚moji‘ das Zeichen1. Auch eine neue Art der Selbstdarstellung und sogar als eine alternative Sprache mit besonderen Symbolen kann man Emojis definieren.

Zuerst möchte ich kurz erklären, was Always macht/machen möchte mit dieser Werbungserie.

Always hat ein neuer Trend mit dem Hashtag „#likeagirl“ entwickelt, um das Selbstbewusstsein der Mädchen während der Pubertät zu verstärken. Sie fokussieren besonders auf Sport und wollen Mädchen ermutigen, so dass sie nicht aufhören weiter zu machen und ein sicheres Gefühl haben, wenn sie Sport treiben. Sie nennen das als ihre Mission und dazu führen sie verschiedene Projekte durch. Videos drehen sie oder veröffentlichen Texte (z.B. für Mütter, damit sie ihre Töchter helfen können, ein starkes Selbstbewusstsein zu entwickeln).2

Einer davon ist über die Geschlechterrepräsentation der Emojis. Das Video3 wurde fast 19 Millionen Mal gesehen, hat ungefähr 8 tausend Kommentare bekommen und ist nämlich „viral“ geworden. Im Video geht es um Meinung der Mädchen, die nachgefragt werden, ob Emojis sie repräsentieren.

Jede Befragte zeigt eine andere Emoji-Serie (Pink-Serie, Beruf-Emojis, Sportler-Emojis usw.) und sagt ihren Kommentar dazu. Alle fokussieren auf dem Punkt, dass es keine Sportler-oder Beruf-Emojis für Mädchen gibt, sondern nur „hübsch“ aussehende, klischeehafte Emojis um sie zu repräsentieren. Anders gesagt, dass Emojis Mädchen in Schubladen stecken und sie stereotypisieren. Um diese Unterrepräsentation zu vermeiden, schlägt Always mit den Befragten Mädchen-Emojis vor, die zeigen, „wie großartig Mädchen sind.“

Aber ich möchte weiterfragen: Wie versteht man überhaupt, ob eine Emoji (oder eine Emoji-Serie) weiblich oder männlich ist? Und warum kategorisiert man eine Emoji unbedingt entweder weiblich oder männlich?

Im Folgenden möchte ich diesen Aspekt anhand dieses Videos analysieren.

Bride With Veil on Apple   Haircut on Apple iOS 9.3  Woman With Bunny Ears on Apple   Face Massage on Apple iOS 9.3  Happy Person Raising One Hand on Apple iOS 9.3

Lass uns zuerst schauen, was sie als Mädchen-Emojis genannt haben. Wir haben eine Pink-Emoji Serie die verschiedene Handgeste, Haarschnitt, Nagellack oder tanzende Personen darstellen. In dieser Serie haben Emoji-Gesichter lange blonden Haare, die sich wahrscheinlich auf Mädchen beziehen. Auch am Ende des Videos gibt es Vorschläge für Mädchen-Emojis, welche Emojis lange Haaren mit verschiedenen Hautfarben haben. Kein Gesichtsausdruckwechsel.

Nail Polish on Apple iOS 9.3 Was auch sehr interessant bei der Kategorie „Mädchen-Emojis“ ist die Nagellack-Emoji. Obwohl es bei dieser Emoji kein Gesicht und/oder Haare zum Sehen ist, kategorisiert man es als Mädchen-Emoji wahrscheinlich, weil Nagellack als ein Kosmetikartikel benutzt wird.

Bicyclist on Apple iOS 9.3Mountain Bicyclist on Apple iOS 9.3 Als ein anderes Beispiel der langhaarigen Emojis möchte ich die Fahrräder-Emojis betonen. Einmal haben wir die originale Version der Emoji, wo zwei Personen mit einem Fahrrad fahren, kein Gesichtsausdruck oder Haare zu Sehen. Dann sehen wir im Folge des Videos eine Fahrradfahrerin-Emoji als Vorschlag. Was diese Emoji „weiblich“ macht, ist auch das selbe Merkmal, nämlich die Haarlänge. (Pferdeschwanzfrisur ist zu Sehen)

Aus der Sicht dieser Kampagne ist das entscheidende Merkmal der Mädchen-Emojis bis jetzt lange Haare oder Benutzung eines Kosmetikartikels. Soweit kann man klar sagen, dass es bestimmte Deutungsmuster der Zweigeschlechtigkeit gibt, die unsere Wahrnehmung strukturieren. Unter dem Begriff ‚doing gender‘ fassen Kessler/McKenna (1978) dieses „Alltagwissen (bzw. die Normalität)“ der Geschlechterdifferenz sehr gut zusammen:

-> „Es gibt zwei und nur zwei Geschlechter. (weiblich und männlich)“
-> „Jede Person muss einem Geschlecht zuzuordnen sein. (es gibt kein „geschlechtslosen“ Fälle)“4
Deswegen setzt man jede Emoji unbewusst und unbedingt in einer Kategorie, entweder männlich oder weiblich, obwohl Emojis nur gelbe Personenzeichen sind, die zum Beispiel bei den Sportler-Emojis nur Handlung darstellen sollen. Unter Rückbezug von Judith Butler finde ich diese Kategorisierung der Emojis ontologisch, das heißt, dass diese Setzungen nicht eine neutrale Beschreibung im Sinne einer Abbildung von Realität sind. Sie tun so, als wären sie irreduzible, nicht weiter hinterfragbare, selbstevidente, wahre Essenz.4 Auch wie in diesem Fall ist es klar, dass manche Emojis unbedingt Mädchen und die andere unbedingt Jungen bezeichnen.

Surfer on Apple iOS 9.3

Und was ist mit den „Jungen-Emojis“? Durch das Video nennt man immer Sportler-Emojis als männlich. Eine sehr interessante Emoji haben sie auch dazu für das Video gewählt: Surfer-Emoji. Wenn man genauer hinschaut bei dieser Emoji, sieht man eine lang-und blondhaarige Person, wobei kein Gesichtsausdruck und/oder kein bestimmter Körperteil klar zu Sehen ist. Deswegen sagt die Befragte zuerst, dass es eine Mädchen-Emoji ist und danach wechselt sie ihre Meinung: „Nein, ein Junge mit langen Haaren.“

Obwohl man langhaarige Emojis als weiblich benannt hat, ist es ganz anders bei der Surfer-Emoji. Wie ist das so?

Wenn wir uns an den Anfang des Essays zurückkehren, werden wir uns erinnern, dass Oxford eine Emoji als Wort des Jahres gewählt hat. Daher kann man ruhig sagen, dass Emojis eine neue Sprachform bilden. Wie Paula-Irene Villa sehr gut gefasst hat, ist Sprache die Erzeugung von Sinn,4 oder auch anders gesagt von Goffman: „Ein Wort anzubieten bedeutet eine Welt anzubieten.“4 Daher liegt die Bedeutung, die diskursive Kategorien beinhalten, eben nicht in der ‚Natur der Dinge selbst‘, sondern in veränderbaren Interpretationen.

In unserem Fall interpretiert man diese ‚Emoji-Sprache‘ in verschiedenen Art und Weisen. Bei dem Beispiel ‚Surfer-Emoji‘ beobachtet die Befragte zuerst das physische Merkmal des Bezeichnenden, nämlich Haarlänge. Durch die „Lange Haare = weiblich“ Kodierung interpretiert sie die Emoji als weiblich. Danach glaubt sie nicht mehr, dass es weiblich ist, ohne einen Grund zu nennen. Könnte diese Emoji auch nicht eine langhaarige Frau sein? Vielleicht kommt sie zu der Meinung, dass es männlich ist, von der Kodierung „Sportler-Emoji = männlich“. Aber dann musste man von der Reflexivität sprechen, weil sich die Befragten auch selbst wieder stereotypieseren.

Genau der Punkt der Reflexivität möchte ich noch betonen. Eine Kampagne, die als Ziel Gleichberechtigung der Geschlechter setzt, bezeichnet alle Sportler-Emojis als männlich und alle Pink-Emojis als weiblich. Danach schlägt sie neue Mädchen-Emojis vor, die lange Haare haben. Was Always auch mit dieser Kampagne gemacht hat, ist quasi wieder Kategorisierung der Emojis auf einer ontologischen Ebene. Auch wenn sie gemeint haben, dass Emojis Mädchen in Schubladen stecken, haben sie leider gewissermaßen dasselbe gemacht.

Nach meiner persönlichen Sicht haben Emojis kein bestimmtes Geschlecht, weder weiblich noch männlich (oder auch dazwischen). Auf der Ebene der sogenannten „Normalität“ oder des Alltagswissens ist es ein klarer Widerspruch, weil man jede Person und auch jede Emoji unbedingt einem Geschlecht zuordnen will, wie auch obengenannt. Daher kann man das natürlich weiterdiskutieren, ob es überhaupt möglich ist, eine Emoji geschlechtslos zu betrachten.

 

Quellen
1- Oxford Dictionaries
http://www.oxforddictionaries.com/de/definition/englisch/emoji
2- Always #likeagirl
http://www.always.de/de-DE/likeagirl.aspx
3- Always #WieEinMädchen – Mädchen-Emojis (2016)
https://www.youtube.com/watch?v=BFdCD-LLfzE
4- Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies: Eine Soziologische Reise durch den Geschlechtskörper. Wiesbaden: VS Verlag, 3. Aufl. S. 142-145 u. 87-88
Die Welt (2015): Das Wort des Jahres ist klein, gelb und weint
http://www.welt.de/kultur/article148931545/Das-Wort-des-Jahres-ist-klein-gelb-und-weint.html

 

#CharmingPrinceForElsa – zurück in eine Zeit, die nie existierte

#GiveElsaAGirlfriend, #CharmingPrinceForElsa und #KeepElsaSingle – seit Disney 2015 bekannt gab, dass für den Animationsfilm Frozen (dt.Titel: Die Eiskönigin – Völlig Unverfroren) eine Fortsetzung geplant ist, steht Twitter Kopf. Alle drei Hashtags ranken sich um die Sexualität der Eiskönigin Elsa und spitzen dabei eine Kontroverse zu, die bereits beim ersten Film existierte.

Von Anika Schäfer

ElsaPrideFinal
https://twitter.com/formal_dublin

Schwulenpropaganda und Indoktrination unschuldiger Kinder oder ein Film, der Werte wie Selbstbewusstsein und Toleranz vermitteln will: besonders im Zusammenhang mit Roland Barthes‘ Text „Der Tod des Autors“ wird deutlich, dass jeder Leser aufgrund anderer Ansichten und Wissensgehalte eine eigene Interpretation zu einem Text entwickelt (Vgl. Barthes 1967). So lässt sich auch nicht abstreiten, dass sich aus Frozen und besonders aus dem Oscar-Prämierten Song „Let It Go“ eine Analogie zum Coming-Out herauslesen lässt .

Auch deswegen ist die Eiskönigin Elsa in der LGBT – Community eine Kultfigur geworden. Für den zweiten Teil fordern viele Fans und LGBT-Anhänger, dass Elsa in der für 2018 angekündigten Fortsetzung eine Freundin bekommen soll und machen auf Twitter ihre Forderung mit dem Hashtag #GiveElsaAGirlfriend publik.

lgbtkidsthatneedthis5
https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd

Was die eine Gruppe bestärkt wird jedoch von einer anderen angegriffen. Schon der erste Teil wurde von konservativen Stimmen wie dem Pfarrer Kevin Swanson beschuldigt, Kinder zur Homosexualität erziehen zu wollen . Nun rufen Konservative mir einer Online-Petition dazu auf, sich gegen den Trend aufzulehnen, der „aus Elsa eine Lesbe“ machen soll. Unter dem Twitter Hashtag #CharmingPrinceForElsa haben nun über 300.000 Menschen unterschrieben, dass Elsa stattdessen einen Prinzen bekommen soll – ganz im Zeichen der Unschuld und der „natürlichen“ Familie.

CitizenGoPetition
http://www.citizengo.org/en/fm/34400-disney-no-princess-queen-elsa-charmingprinceforelsa

“Girls across the world watch Disney movies to grow up dreaming of having a life much like their favorite Disney princess or dreaming of the day they marry their own Prince Charming. It is important that Disney not use the influence of a film to feed our children with a political message.”

Dieser Appell an Disney macht deutlich, was viele Gegner der LGBT-Community als Argument verwenden um die Identität von Schwulen und Lesben anzugreifen: Menschen und besonders Kinder seien inhärent heterosexuell – jedes Mädchen träume von einem Prince Charming. Die Heterosexualität wird zu einem Original erhoben, zur Grundform aller Sexualitäten. Abweichende Sexualitäten werden negativ bewertet. In der Petition wird immer wieder betont, dass die Gegenbewegung zu #GiveElsaAGirlfriend nur zum Schutz unschuldiger Kinder geschehe. „I am writing to you out of concern for children across the world”, beginnt der Brief an Disney. “Please use your film to send a positive message to children”, wird die Bitte um einen Prinzen formuliert: “The alternative idea is frightening.”

Vernachlässigt wird dabei der Gedanke, dass eben nicht alle Kinder von Beginn an heterosexuell sind. Vielmehr hat jedes Kind von vorne herein eine bloße Möglichkeit heterosexuell zu sein (Vgl. Butler 1991). Denn so ist es auch mit anderen Aspekten der Identität: ein allgemein gültiges Original existiert nicht. Identität ist nicht als der naturgegebene Kern unseres Selbst zu sehen, den es schon immer gab und den wir mit unseren Taten und unserem Verhalten nachmodellieren. Eher verläuft es umgekehrt: Identität entsteht als Folge von Akten, mit denen wir uns definieren – durch performative Konstruktion (Vgl. Butler 1991). Performativ ist ein Akt, der uns bezeichnet und dadurch unsere Identität bildet. Beispielsweise ist man als heterosexuelle Frau nicht zuerst heterosexuell und begehrt aufgrund dessen Männer. Eher definiert erst die Tatsache, als Frau Männer zu begehren, diese Frau als heterosexuell. Sexualität ist wie andere Identitätsaspekte nicht von vorne herein festgelegt. Sie existiert zunächst nur als Möglichkeit etwas oder jemand zu sein, die erst durch performative Akte realisiert wird (Vgl. Butler 1991). Daher besteht genauso auch die Möglichkeit beispielsweise als Frau nur Frauen zu begehren und dadurch lesbisch zu sein. Nicht als Ursache, sondern als Effekt einer performativen Konstruktion entsteht Identität (Vgl. Butler 1991). Für jedes Kind ist die sexuelle Orientierung auch nur die Möglichkeit jemanden zu begehren und dadurch jemand zu sein. Ob ein Mädchen von einem Prince Charming träumt oder von einer Prinzessin ist von Beginn an offen.

Woher kommt also der Gedanke, dass Heterosexualität die Grundform sei? Auch die politische Wertung der Petition macht dieses Konzept deutlich. Elsa eine Freundin zu geben wird als politische Nachricht angesehen, die Kindern aufgedrückt wird; ein Prince Charming stattdessen als politisch neutral. Außer Acht gelassen wird dabei, dass auch ein stillschweigendes Beibehalten des Status Quo eine Wirkung hat: dessen Stärkung. Identität entsteht als ein Effekt bezeichnender Akte, und diese werden ständig reproduziert (Vgl. Butler 1991). Dabei entsteht der Eindruck, dass es nicht diese Akte sind, die wiederholt werden, sondern die Identität selbst (Vgl. Butler 1991). Nichts wird in der Gesellschaft so oft wieder aufgegriffen wie Geschlechterrollen und Vorgaben der sexuellen Orientierung. Heterosexualität wird zu einem Ideal erhoben, das scheinbar schon allem Handeln vorausgeht, in Wahrheit jedoch erst durch die Wiederholung produziert wird und zuvor gar nicht existierte (Vgl. Butler 1991). Sie wird immer wieder neu produziert und verfestigt: beispielsweise zeigen zahlreiche Filme heterosexuelle Beziehungen und Sexismus in der Werbung sagt nicht nur etwas über die Stellung der einzelnen Geschlechter aus, sondern auch darüber, wer welches Geschlecht zu begehren hat.

Zusätzlich zu #CharmingPrinceForElsa und #GiveElsaAGirlfriend verfolgen weitere Stimmen unter dem Hashtag #KeepElsaSingle andere Motive. Viele hätten gerne mehr Repräsentation von Singlefrauen, die auch ohne einen Partner oder eine Partnerin stark sein können. Andere hätten gerne eine asexuelle Eiskönigin, oder sehen ihr Single-Bleiben als Weg, sich einer Stellungnahme zu entziehen und alle glücklich zu halten. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob das einfache Auslassen dieser Thematik nicht doch eher ein Statement für den Status Quo darstellt. Einige Twitter-User scheinen eine Single-Elsa mit einer heterosexuellen Elsa auf die gleiche Stufe zu stellen.

whateveryoulikebutnogirlfriend
https://twitter.com/search?q=%23charmingprinceforelsa&src=tyah

Es ist fast unmöglich dem Konzept der Heterosexualität in Zusammenhang mit Begriffen wie Originalität, Normalität und Natürlichkeit zu entgehen. Twitter meldet sich zu Wort und macht deutlich, dass es heutzutage in dieser Hinsicht nicht mehr ausreicht, einfach gar nichts zu sagen. Nur explizite Repräsentationen queerer Sexualitäten stellen einen Bruch in der ständigen Verfestigung der Heterosexualität dar. Sie öffnen Raum für neue Ansichtsweisen und Toleranz und bilden einen Trittstein für die Gleichberechtigung der LGBT-Community. Viele Kommentare haben eins gemeinsam: die Forderung nach mehr Vielfalt in der medialen Repräsentation – sei es die starke Singlefrau, die Asexuelle oder die Lesbe.

beapartofthefuture
https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd

Es ist ein Fortschritt, dass viele Twitter-User eine lesbische Disney Prinzessin als völlig angemessen empfinden. Jedoch ist es nicht ganz richtig zu sagen, dass Idealvorstellungen sich nur mit der Zeit geändert haben wie ein Klamottenstil oder ein Frisurentrend. Vielmehr war das Ideal schon immer bloß eine reine Illusion. Die Zeiten in denen Heterosexualität die Grundform war sind nicht nur lange vorbei – es hat sie eigentlich noch nie gegeben.

 

Quellen:

Barthes, Roland (2000) [1967] : Der Tod des Autors, in: Jannidis et al. [Hrsg.]: Texte zur Theorie der Autorschaft. Reclam: Stuttgart, S. 185-193.

Butler, Judith (2003) [1991]: Imitation und die Aufsässigkeit der Geschlechtsidentität, in: Kraß, Andreas [Hrsg.]: Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Suhrkamp: Frankfurt am Main, S. 144-168.

http://www.citizengo.org/en/fm/34400-disney-no-princess-queen-elsa-charmingprinceforelsa (25.06.2016)

httphttp://www.rightwingwatch.org/content/swanson-disneys-frozen-satanic-push-turn-kids-gay (12.07.2016)s://twitter.com/search?q=%23charmingprinceforelsa&src=tyah  (25.06.2016)

https://www.theguardian.com/music/musicblog/2014/apr/10/frozen-let-it-go-disney-hit-adolescent-lgbt-anthem (12.07.2016)https://twitter.com/hashtag/keepelsasingle?src=hash (25.06.2016)

https://twitter.com/formal_dublin  (11.07.2016)

https://twitter.com/search?q=%23charmingprinceforelsa&src=tyah  (10.07.2016)

https://twitter.com/search?q=%23giveelsaagirlfriend&src=typd (13.07.2016 und 17.07.2016)

https://twitter.com/hashtag/keepelsasingle?src=hash (25.06.2016)

 

 

 

Gleichgeschlechtlichkeit bei WhatsApp-Emojis und ihre integrative Bedeutung

von Gerriet Scheben

Per kurzem Tippen alles Mögliche in Sekundenbruchteilen verschicken. Problematisch nur, wenn aus allem Möglichen eine ausschließende Auswahl wird und man nicht in der Lage ist gewissen Inhalten in symbolischer Form Gehör zu verleihen…

Die Messanger App WhatsApp erfreut sich immer größerer Beliebtheit weit gestreut über die Altersklassen hinweg. In Hinblick auf kommunikative Medien steht sie ganz oben mit an der Spitze. Die ehemals konventionellen Arten jemanden zu erreichen, beispielsweise per Anruf und Sms wurden durch das dialogartige Miteinander-Schreiben auf die hinteren Plätze verwiesen.
Hierbei kommen auch häufig Emojis zum Tragen. Diese Symbole können längere, komplexe Inhalte verknappend darstellen und der reinen Schrift einen ´emotionalen´ Charakter verleihen. Da gerade diese Art zu kommunizieren unser Alltagsleben durchzieht, erscheint es von Bedeutung sich kritisch damit auseinander zu setzen.
Die Anzahl der Emojis ist limitiert. Die verfügbare Auswahl avanciert also in eine exklusive Sphäre, die quasi eine Richtlinie für Gespräche darstellt. Man kann sich eben nur an einem der vorhandenen Symbole bedienen (auch wenn man diese frei zu wieder neuen Inhalten kombinieren kann).

Es wurde bereits Kritik laut, aufgrund der fehlenden Auswahlmöglichkeiten von verschiedenen Hautfarben für die dargestellten Personen. Dieser kam man zeitig bei und die aktuelle Version der App stellt einen größeren, angepassten Rahmen von Hauttönen zur Verfügung. Ähnliches gilt auch für die abgebildeten Formen von Familien. Die Paarungen Mann-Mann, Frau-Mann und Frau-Frau mit jeweils entweder einem oder zwei Jungen und/oder Mädchen sind für die Nachrichten aufrufbar. Genauso wie ein Mann beim Friseur, dessen lange Haare geschnitten werden und eine Frau, die ihre sportliche Seite in einer Momentaufnahme vom Kraulschwimmen zeigen kann. Könnte man meinen.
Dem ist aber nicht so. Den Geschlechtern scheinen gewisse Teilbereiche zugeschrieben und vorbehalten zu sein. Warum wird also das Frauenemoji beim Haare schneiden oder der Massage abgebildet, wohingegen die männliche Variante Gewichte stemmend oder fahrradfahrend im Bereich Sport angesiedelt zu sein scheint? Ganz im Sinne des „Doing-gender“-Modells (vgl. Villa) werden hier Geschlechterrollen mit gewissen Gegenständen oder Handlungen in Verbindung gebracht, worüber dann eine vermeintlich natürliche kulturelle Geschlechtlichkeit produziert wird. Unterschiedlichste Ressourcen wie Gebrauchsgegenstände, Gestik oder Mimik etc. werden zur Geschlechtsdarstellung verwendet.
Man muss allerdings einräumen, dass nicht alle Emojis, welche eine sportliche Disziplin zur Schau stellen, eindeutig als Männer skizziert sind. So sieht man unter anderem Wintersportler in voller Montur, welche durchaus weibliche Sportlerinnen sein könnten. Aber gerade dadurch, dass viele andere Sportler und nicht auch Sportlerinnen verwendet werden, könnte zumindest eine Tendenz bestehen, auch die unbestimmten androgynanmutenden Emojis eher dem männlichen Geschlecht zuzuordnen.

Interessant sind auch Äußerungen zu den Emojis. Hierbei scheint die Heteronormativität die Schreib- und damit gekoppelt die Denkweise vieler Stellungsnahmen maßgeblich zu bestimmen. Frau Butler vertritt die Meinung, dass die Heterosexualität im Alltagswissen, als natürliche Form von Sexualität generell eingesetzt wurde. Unhinterfragt steht diese sexuelle Gesinnung somit als Norm, von welcher man alle anderen Gesinnungen abgrenzen kann.

Ein paar Sätze im Sinne des oben genannten, wären zum Beispiel folgende der Onlineseite Bravo.de entnommene:“So wird es in Zukunft neben der „normalen“ Familie mit Kindern auch homosexuelle Paare mit ihren Kindern als Emoji geben. Egal ob zwei Mamas oder zwei Papas – auch ihr seid Familie! Tolle Neuerung!“ Es wird deutlich, dass keine Anfeindung vorliegen soll, aber der äußerst problematische Begriff von Normalität gibt der Aussage einen unangenehmen Beigeschmack, auch wenn er durch Anführungszeichen gekennzeichnet wurde. Wenn es eine „normale“ Familie gibt, dann sind die anderen Arten in sprachlicher und damit verbunden gesellschaftlicher Hinsicht automatisch abnormal.

Genauso wie die überschwänglich anmutende anschließende Affirmation. Dadurch gerät die Homosexualität überhaupt erst wieder in den Diskurs. Michel Focault beschrieb eine untrennbare Verbindung von Wissen/Macht, welche sich in sprachlichen Diskursen niederschlägt. Diskurse umfassen einen oder mehrere Themenkomplex(e), mit dem(denen) sich sprachlich auseinander gesetzt und damit Bedeutung generiert wird. Es hätte gereicht von verschiedenen familiären Konstellationen zu schreiben. Damit wäre keine Abgrenzung erfolgt und der betonte Sensationsgehalt hätte ebenfalls wegfallen können, sodass man die diversen Familienverbände einfach unkommentiert hätte stehen lassen können.

Ein weiteres Beispiel der Onlineseite von Deutschlandradio Kultur lautet wie folgt:
„Apple bietet schon gleichgeschlechtliche Familien mit Kindern als Emojis an
Bei lesbischen und schwulen Emoji-Pärchen ist die Lage einfacher. Markus Ulrich ist Pressesprecher vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland. Für ihn gehört zu Homophobie, wenn man die Existenz von Homosexuellen ignoriert – oder eben wie vorher bei WhatsApp – nicht sichtbar macht. Jetzt findet er seine Lebenswelt in einem Emoji wieder.
„Wenn man die WhatsApp-Nachricht bekommt, wo bist du gerade? Dann kann man das Zeichen nehmen und ein Eis und weiß, okay, ich bin mit meinem Freund Eis essen.“
Apple bietet schon gleichgeschlechtliche Familien mit Kindern als Emojis an. Bei WhatsApp können Nutzer bisher nur homosexuelle Paare verschicken. Ob die großen Firmen das der PR wegen machen, ist Markus Ulrich eigentlich egal.
„Es geht immer um Sichtbarkeit. Wenn es das eine gibt, muss es auch das andere geben. Sichtbarkeit ist eines der Hauptziele gewesen von lesbischer und schwuler Emanzipation. Wir wollen sichtbar sein, wir wollen in irgendeiner Form dazugehören und wir wollen anerkannt werden auf symbolischer wie rechtlicher Ebene. Und damit ist das ein Teil von Anerkennungskämpfen.“ “

Genauso wie das oben aufgeführte Beispiel stammt dieser Beitrag noch aus der Zeit vor der Ergänzung der gleichgeschlechtlichen Pärchen (mit oder ohne Kindern) bei WhatsApp. Allein die Tatsache, dass es erst mal überhaupt einer Beschwerde von Seiten der Bevölkerung bedurfte, um verschiedene Modelle von Familien mit einzubringen, lässt schon tief blicken. Anscheinend wurde nicht von Anfang an, an eine Vielzahl von möglichen familiären Gemeinschaften gedacht, aber diese wurden immerhin ergänzt.
Hieran kann man erkennen, dass es noch keine vollständige, vorbehaltlose Akzeptanz gibt und vielleicht auch geben kann, solange die Sprache nicht entsprechend modifiziert wird. Zugegebenermaßen eine schwere Aufgabe. Aber Anfänge einer sprachlichen Umwälzung finden sich ja gerade in unserer alltäglichen Kommunikation. Wenn wir hier bedenkenlos alle möglichen Formen von Familien ins Gespräch bringen können, auch auf symbolischer Ebene, wie bei WhatsApp – könnten Barrieren zunächst leichter überwunden und im besten Fall gänzlich ausgelöscht werden.

Quellenangaben:

Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper, Wiesbaden: VS
Foucault, Michel (1974): Die Ordnung der Dinge (Vorwort) Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
Bravo.de: http://www.bravo.de/smartphone-multikulturelle-emoji-kommen-340689.html
Deutschlandradio Kultur: http://www.deutschlandradiokultur.de/politisch-korrekte-emojis-smileys-in-vielen-hautfarben.2156.de.html?dram:article_id=329890
Unicode.org: http://unicode.org/emoji/charts/full-emoji-list.html

Die Notwendigkeit von Coming-Out Videos in einer heteronormativen Gesellschaft

„I’m making this video for anyone who needs it“

Zu diesem Entschluss kommt der YouTuber Connor Franta am Ende seines Coming-Out Videos, welches fast 11 Mio. mal angesehen wurde. Es ist nur eines von vielen Videos in denen Menschen offen ihre sexuelle Orientierung preisgeben. Unter anderem die Schauspielerin Ellen Page, der Sportler Tom Daley und diverse YouTube Stars haben sich vor der ganzen Welt zu ihrem wahren Ich bekannt. Doch wieso besteht ein so großes Verlangen danach, sich öffentlich zu outen? Sind Homo-, Bi- oder Transsexualität im Jahre 2016 noch immer etwas so ungewöhnliches, dass man sich öffentlich oder auch privat erklären muss?

von Eva Marder

 

Die deutsche YouTuberin Melina Sophie bekam 2015 unter ihrem Coming-Out Video genau diese Fragen häufig gestellt und nahm dazu in einem zweiten Video (Ist ein Outing überhaupt noch nötig?) Stellung: „Ich bin der Ansicht, dass wir noch lange nicht an dem Punkt sind wo das wirklich als so normal angesehen wird.“ Mit dieser Ansicht ist sie nicht alleine und vor allem hat sie leider Recht. Warum das Coming-Out in sozialen Netzwerken eine so große Rolle spielt und warum es in der Entwicklung von Toleranz gegenüber und Akzeptanz von Homo-, Bi- oder Transsexuellen wichtig ist soll im Folgenden vor dem Hintergrund der Heteronormativität erläutert werden.

Was ist Heteronormativität?

„Ich bin schwul/lesbisch/bisexuell/transsexuell“ – Das ist der Satz, um den sich jedes Coming-Out Video dreht. Doch warum gibt es kein „Ich bin hetero“ Video? Wieso ist es „normal“ heterosexuell zu sein?

Diese Auffassung geht wohl größtenteils auf die Fortpflanzung zurück, denn dazu benötigt man bekanntlich einen männlichen und einen weiblichen Part, welche sich nur in Kombination erfolgreich reproduzieren können. Der Begriff Heteronormativität benennt das als die Norm und geht somit von „zwei klar voneinander abgrenzbaren, sich ausschließenden Geschlechtern“ (Hartmann / Kresse 2007: 9) aus. Er basiert „auf der Setzung von heterosexuellem Begehren als natürlich und normal“ (Hartmann / Kresse 2007: 9) und „setzt ein Bündel von Verhaltensnormen“ (Wagenknecht 2012: 1). Diese Denkmuster sind so in unsere Gesellschaft integriert, dass sie sich von klein auf in unser Leben einschleichen. So werden Spielzeuge und Klamotten für kleine Jungs in blau, manchmal auch grün oder gelb gehalten, für kleine Mädchen gibt es alles in rosa oder rot. Dabei haben Farben wirklich nichts mit dem Geschlecht oder gar der Sexualität zu tun. Auch ist es in den meisten Familien normal, den Sohn zu fragen ob er in seiner Klasse ein Mädchen gut findet – die Möglichkeit, dass er vielleicht Jungs lieber mag, sehen viele Eltern nicht. Michael Warner beschreibt Heteronormativität als heterosexuelles Privileg: „[…] so much of heterosexual privilege lies in heterosexual culture’s exclusive ability to interpret itself as society“ (1991: 8). Heterosexualität ist in unserer Gesellschaft die Norm und „was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht“ (Wagenknecht 2012: 1). Leider entspricht dieser Satz auch im 21. Jahrhundert noch der Wahrheit. Zwar wurden in den meisten westlichen Ländern bereits große Fortschritte erzielt, die besonders Homosexuellen wichtige Rechte zusprechen, doch in vielen Ländern Afrikas, Asiens oder Südamerikas steht Homosexualität noch immer unter gesetzlicher Strafe. Diese reicht von Bußgeldern über lange Haftstrafen und in 6 Ländern sogar bis hin zur Todesstrafe (Nigeria, Somalia, Iran, Jemen, Saudi Arabien, Jamaika). Diese Gesetze beziehen sich häufig nur auf männliche Homosexuelle. Für Frauen sind die Haftstrafen oft kürzer, im Iran sowie in Jamaika wird Homosexualität bei Frauen jedoch mit 100 Peitschenhieben bestraft.

„Schwul steht bis heute an der Spitze der Schulhof-Beleidigungen“ (manniac)

Doch nicht nur durch das Gesetz wird es Homosexuellen schwer gemacht, auch im Alltag haben Homosexuelle mit der Heteronormativität und daraus resultierender Homophobie zu kämpfen. In dem Video zu seiner Coming-Out Story erzählt der YouTuber manniac von seiner Schulzeit, in der er oft von anderen Jungs als „schwul“ bezeichnet wurde: „Nicht weil die anderen gewusst hätten, dass ich schwul bin, das hatte damit gar nichts zu tun. Schwul sein war für sie die schlimmstmögliche Beleidigung.“ Aufgrund solcher Einflüsse schon im jungen Alter trauen sich viele Menschen nicht, sich selbst einzugestehen, dass sie schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell sind. Das bestätigt auch manniac: „Mit dem Wort ‚schwul‘ konnte ich mich aber überhaupt nicht identifizieren. Das war etwas, was sich andere Leute an den Kopf geworfen haben um sich gegenseitig zu beleidigen.“

Oft werden Begriffe wie schwul oder lesbisch bereits von Kindern aufgeschnappt, jedoch nicht vollends verstanden. Aufgrund der Art und Weise wie zum Beispiel Eltern oder ältere Geschwister über das Thema sprechen wird aber schnell klar, dass es etwas schlechtes oder unnormales sein muss. Wenn Kinder das in der Schule aufgreifen, um andere zu ärgern, kann das langwierige Folgen haben. Das beschreibt zum Beispiel die YouTuberin Ingrid Nilsen in ihrem Coming-Out Video. Sie erklärt, dass sie schon als junges Mädchen wusste, dass sie Mädchen mag. Das entging natürlich den anderen Kindern in ihrer Schule nicht und so wurde sie eines Tages als Lesbe bezeichnet. Sie wusste zu dieser Zeit nicht, was das genau bedeutet. „So when I found out what the word lesbian means, my first reaction was: Well, why is that a bad thing?“ Doch aufgrund der Hänseleien anderer Kinder machte sich in ihrem Kopf natürlich der Gedanke breit, dass sie nicht normal sei und so datete sie später jahrelang Männer, obwohl sie eigentlich wusste, dass sie lesbisch ist.

So oder so ähnlich klingen die meisten Coming-Out Stories auf YouTube und wahrscheinlich auch tausende der nicht-veröffentlichten Coming-Out Stories da draußen. Und genau das zeigt, warum diese Art von Video so notwendig ist. Heterosexualität gilt als normal, alles andere wird kritisch betrachtet oder gar verpönt. Deswegen fürchten sich viele Nicht-Heterosexuelle vor sich selbst, vor ihren Freunden, ihrer Familie. Und viele von ihnen suchen Hilfe im Netz. So zum Beispiel auch Connor Franta, der gesteht: „I watched every coming-out video possible 4 times“. Ähnlich auch der Sänger und YouTuber Troye Sivan: „I watched pretty much every coming-out video on YouTube. […] Without them I don’t know where I’d be. […] They showed me that it’s okay and that there’s people out there living healthy, happy lives and who are absolutely fine. And they happen to be gay as well.“

Coming-Out Videos sollen also nicht nur dazu dienen, die eigene Sexualität preiszugeben und sich zu outen. Viel mehr geht es darum anderen Menschen Mut zu machen, die vielleicht etwas ähnliches durchleben. Es lenkt auch Aufmerksamkeit auf das Thema und gibt der LGBT-Community ein Gesicht, was vielleicht für mehr Akzeptanz und Verständnis von Heterosexuellen sorgt. Auch wenn die erste Reaktion auf solche Videos vielleicht verwundert sein könnte: wieso macht man einen so großen Hype um etwas, was man als normal etablieren möchte? Das bestärkt doch bloß, dass es eben nicht normal ist. Doch wie Melina Sophie bereits sagte: es ist noch nicht normal, aber wir gehen in großen Schritten darauf zu. Also hoffen wir, dass die tausenden Coming-Out Videos dabei helfen, Schwulen, Lesben, Bi- oder Transsexuellen Mut zu machen, zu ihrer Sexualität zu stehen. Und hoffen wir, dass alle Heterosexuellen, die solche Videos schauen, bemerken, dass es nichts schlimmes ist und dass wir alle nur Menschen sind, ganz egal welche Sexualität wir haben. Vielleicht ist es dann in einigen Jahren, in der nächsten Generation, endlich normal. 

Literaturverzeichnis:

Hartmann, J. & Klesse, C. (2007). Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht – eine Einführung. In: Hartmann, J. / Klesse, C. / Wagenknecht, P. / Fritzsche, B. / Hackmann, K. (Hrsg.) Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 9-15

Wagenknecht, P. (2012). Was ist Heteronormativität? Zu Geschichte und Gehalt des Begriffs

Warner, M. (1991). Introduction: Fear of a Queer Planiet. In Social Text, No. 29, pp. 3-17. Duke University Press

Internetquellen:

http://www.du-bist-du.ch/was-ist-coming-out/

https://gay.parship.de/editorial/ratgeber/events-aktionen/pride-csd/homosexualitaet-strafbar/

https://www.wien.gv.at/menschen/queer/sexuelle-orientierung/coming-out.html

Coming-Out Videos

Connor Franta: https://www.youtube.com/watch?v=WYodBfRxKWI

Ellen Page: https://www.youtube.com/watch?v=1hlCEIUATzg

Tom Daley: https://www.youtube.com/watch?v=OJwJnoB9EKw

Melina Sophie: https://www.youtube.com/watch?v=OZTOs7Qq6pQ

manniac: https://www.youtube.com/watch?v=eKBUQM5cVaU

Ingrid Nilsen: https://www.youtube.com/watch?v=Eh7WRYXVh9M

Troye Sivan: https://www.youtube.com/watch?v=JoL-MnXvK80